Sie war eine aufmerksame Dame, zugewandt und freundlich. Wenn jemand einen Flusen am T-Shirt hatte, hieß es: „Einen Moment bitte! Sie haben da was!“ Mit ihrem Rollstuhl fuhr sie heran und zupfte ihn freundlich-lächelnd ab. An den Beschäftigungsangeboten in der Seniorenpflegeeinrichtung, in der sie lebte, nahm sie gerne teil, so auch an den Andachten, die ich hielt.
Privat erlebten wir als Familie eine äußerst bedrückende und ängstigende Zeit. Durchwachte Nächte. Völlig erschöpft und doch keinen Schlaf findend, weil Sorge und Not so übermächtig groß waren. Die Gedanken kreisten. Die Seele schrie, wimmerte und betete.
Am Morgen riss ich mich zusammen, ging zur Arbeit und strengte mich an, konzentriert bei der Sache zu bleiben. Bevor ich die Andacht hielt, bat ich Gott in einem stillen Gebet um Kraft. Ich fühlte mich leer und unfähig, etwas von Gott zu erzählen. Ich weiß heute nicht mehr, welches Thema meiner Andacht zugrunde lag, aber nachdem ich das Abschlussgebet und den Segen gesprochen hatte, war es friedlich, andächtig und still.
Ich wollte mich gerade verabschieden und zum Gehen wenden, da kam sie auf mich zugerollt und ich dachte: Hab ich schon wieder einen Fussel irgendwo? „Moment“ sagte sie, ergriff meine Hand und hielt sie mit ihren beiden Händen umschlossen. Sie wartete, bis sich unsere Blicke trafen. „Gott segne Sie! “, sprach sie mir laut zu und schenkte mir dabei ihr schönstes Lächeln. Dann, ohne meine Hand loszulassen, fügte sie hinzu: „Mit allem, was ihm möglich ist!“
Mir schossen die Tränen in die Augen und ich bedankte mich aufrichtig. Hatte ich das gerade wirklich zugesprochen bekommen? Ja! Als ich allein im Fahrstuhl stand, kniff ich mich, weil dieser Segen mir so unwirklich schien. Wie aus einer anderen Welt. Hatte ich mit irgendeiner Silbe irgendjemandem in dieser Einrichtung von unserer Not erzählt? Oder sah ich verheult aus? Nein! Hatte ich jemals einen solchen umfänglichen Segen zugesprochen bekommen? Nein! Hatte jemals ein Segen so zeitgenau in mein wehes Herz gesprochen? Nein! Dieser Satz riss mir meinen verfinsterten Gedankenhorizont auf und ließ mich in der Ferne einen Gott erahnen, der ungeahnte Möglichkeiten hat.
„Gott segne Sie – mit allem, was ihm möglich ist!“ schwang ab jetzt immer mit, wenn die Not an meiner Seele zerrte und die Angst mich erdrücken wollte. Dann erinnerte ich mich und Gott daran, dass ihm nichts unmöglich ist (Lukas 1,37)! Das große Problem war nicht gelöst, es galt weiter zu beten, zu warten, schließlich zu handeln, zu hoffen, zu ertragen, zu leben ... Aber dieser Segen – irgendwie geheimnisvoll und genau zur rechten Zeit zu mir gekommen – wurde mir zu einer Art Rettungsring, der mir half, dass meine Seele nicht gänzlich unterging.
Jahre später kann ich sagen: Es ist gut geworden – nicht schnell, nicht ohne Angst, nicht ohne jegliche Beeinträchtigung, aber Gott hat uns geholfen, diese Zeit durchzustehen. Die liebe Dame aber hat einen Wunsch in mir geweckt: Ich möchte auch ein segnender Mensch werden. Einer, den Gott gebrauchen kann, um anderen Mut und Hoffnung im Namen Gottes zuzusprechen.
Christine Schlagner
8 Antworten
Ich bin ganz bei Christine Sch.
Am liebsten würde ich die Zeit vorspulen , damit ich schon wie sie zurückblicken könnte....
Meine Seele weint. Danke für den Zuspruch.
Was für ein wundervoller himmlischer Zuspruch, liebe Christine
Möge Gott auch Sie und alle die hier lesen, SEGNEN mit allem was möglich ist.
Danke, Amen.
Gott ist groß! Mit paar liebe Worte können wir schon für andere ein Segen sein. Danke für den Impuls!
Wunderschön! Danke fürs Teilen.
Meine Schwester sagte mir mal folgendes in einer sehr schweren Situation zu:
"Wenn du sehen könntest was Gott sieht- würdest du Ihn genau um diese Situation bitten in der du jetzt gerade stehst!"
Diese freudige Gewissheit schenkt Frieden und Halt!
Auch andere hat dieser Satz schon geholfen!
Vielen Dank für diesen berührenden und Mut machenden Beitrag!
Herzlichen Dank liebe Christine für das Teilen dieser schweren, aber doch so ermutigenden Erfahrung!