Montag, 20.09.2021

Gut gemacht, meine Tochter!

Ich bin hochsensibel. Mein vegetatives Nervensystem filtert Reize also weniger, als das bei durchschnittlich sensiblen Menschen der Fall ist. Geräusche, Gerüche, Berührungen, Schmerzen, Informationen, Menschenmengen sowie meine Gefühle und die Emotionen anderer führen bei mir häufig zu einer Reizüberflutung. So halte ich kein Babyschreien länger als zehn Sekunden aus; das Parfüm meines Mannes stinkt in meiner Nase und mir schmecken viele Gerichte nicht. Völlig angemessene Körperberührungen irritieren mich. Ich kann kein Blut sehen und ekele mich schon, wenn einem Kind die Nase läuft. 
Ich erinnere mich an eine spezielle Situation während meines Bibelschulstudiums. Ich absolvierte ein Praktikum bei einer christlichen Organisation, die sich um Menschen in Not kümmerte. Dort gab es eine Suppenküche und zu bestimmten Zeiten auch Duschmöglichkeiten für die Gäste. 
Gerade war keine offizielle Duschzeit. Sie kam aber trotzdem. In dem Zustand, in dem sie war, konnte sie sich unmöglich ungeduscht mit uns anderen im Haus aufhalten – dafür war sie nicht sauber und nicht neutral riechend genug. Das lag daran, dass die Frau zum „Auf-die-Toilette-gehen“ keine Toilette aufgesucht hatte. Das Ergebnis war nun auf ihrer ganzen Hose verschmiert. Als sie den Essensraum betrat, fingen die Gäste an, die Nase zu rümpfen. Ich musste sofort würgen.
Die Teamleitung wählte mich aus, mit der Dame zu den Duschen hinunterzugehen, ihr eine neue Hose und Unterwäsche auszusuchen und die alte zu entsorgen. Ich versuchte, mich zu weigern, doch das wurde nicht akzeptiert. Also ging ich mit der Dame ein Stockwerk nach unten. Mir war speiübel. Die Frau selbst nuschelte nur, sprach nie direkt in meine Richtung, hatte eine unberechenbar aggressive Körpersprache.
Ich zog mir Einweghandschuhe an und besorgte einen riesigen Müllbeutel, in den ich die schmutzige Hose entsorgen wollte. Zu spät! Sie hatte ihre dreckige Jeans bereits ausgezogen und auf den Boden geschmissen. Der Boden und ein Möbelstück hatten ordentlich etwas abbekommen. Anscheinend war sie auch noch mit ihren Schuhen durchgelaufen und hatte alles bis in die Dusche verschmiert. Ich versuchte zu lüften, die Luft anzuhalten – nichts konnte den Geruch und meinen Ekel abmildern.
Ich weiß, dass es Menschen gibt, die eine solche Arbeit täglich machen, aber für mich war das Saubermachen der blanke Horror.
Wenige Augenblicke später hörte ich Gott sehr deutlich in meinen Gedanken sagen: „Gut gemacht, meine Tochter! Ich bin stolz auf dich. Jetzt weißt du, was Liebe ist.“
In diesem Moment fühlte ich ganz stark die Nähe Gottes. Ich verstand, dass diese Situation eine persönliche Glaubensprüfung war. Würde ich etwas für jemand anderen tun, obwohl es mich selbst etwas kostete? Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder andere Mitarbeiter diese Aufgabe mit weniger Mühe geschafft hätte. Doch Gott hatte mich dafür ausgesucht. Und er half mir, diese Aufgabe zu meistern. Im Nachhinein bin ich ihm dankbar für diese Erfahrung.

Helena Enns

"Danke" an die Autorin

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9 Antworten

  1. Danke von Herzen - Ihnen und allen, die in sozialen Einrichtungen, in der Pflege und auch zu Hause in der Betreuung, für unsere Mitmenschen da sind. Einen gesegneten Wochenstart!

  2. Liebe Helena!
    Ich gratuliere dir von ganzem Herzen, dass du diese schwere Herausforderung mit Gottes Hilfe geschafft hast. Ich bin davon überzeugt, dass ganz viele Menschen damit Schwierigkeiten gehabt hätten, inkl. mir. Gott ist so herrlich, er schickt uns Aufgaben, damit wir etwas lernen, begreifen . Du hast einem Menschen einen großen Liebesdienst erwiesen . Ich denke mir jetzt, wie groß war und ist Gottes Liebe, als er seinen Sohn für uns opferte...und wie groß ist Jesu Liebe, dies auch ertragen zu haben. UNFASSBAR!!!
    Danke für deinen Bericht und alles Liebe Karin

  3. Liebe Helena
    Hut ab! Hut ab, dass Sie diese eklige Arbeit verrichten konnten, vor allem aber, dass Sie GEHORSAM waren!! ICH hätte dies nicht geschafft. Ich persönlich empfinde es als eine Schikane, man hätte Ihnen wenigstens eine Hilfsperson zur Seite stellen sollen, zumal sich diese hilfsbedürftige Person sich nicht entgegenkommend verhielt! RESPEKT!!

  4. Mir wurde ähnliches abverlangt.Ich war lange Zeit als Arzthelferin tätig.Meine Chefin ging irgendwann in Ruhestand. Ich war alleinerziehend und brauchte dringend eine andere Arbeit um meine Kinder versorgen zu können.Mein alkoholkranker geschiedenen zahlte selbstverständlich keinen Unterhalt.Ich fand nichts anderes wie ambulanter Pflegedienst.Hier gehört das Wechseln von Windeln und die Intimpflege Erwachsener zum Alltag egal in welcher Situation.Ich hätte anfangs in Tränen ausbrechen mögen und mich irgendwo verstecken.Abwr ich war die Schwester auf die man gewartet hat.Mit Gottes Hilfe an jedem neuen Tag habe ich 4 Jahre dort gearbeitet und ziehe den Hut vor jedem Kollegen der das länger schafft.

  5. Ein Riesensprung über den eigenen Schatten! Gratuliere!
    Sowas wird meistens mehrfach belohnt: man selbst ist ein Stück reifer und reicher geworden.

  6. Liebe Helena

    Danke herzlich für Deine offenen und ehrlichen Zeilen! Ich arbeite selber in der Pflege und so was erlebe ich, wie Du schreibst, tagtäglich. Aber beim Lesen dieses Berichts ergriff mich tiefes Mitleid, weil ich mich sehr gut in Dich hinein ersetzen kann. Das ist fast unzumutbar, dass Dir diese Aufgabe alleine zugemutet wurde. Zu zweit wäre aushaltbarer gewesen. Aber ich gratuliere Dir von Herzen für Deinen Gehorsam und dass Du nicht aus der Aufgabe weggelaufen bist. Es berührte mich sehr, wie Jesus zu Dir gesprochen hat!

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