Die Tassen in meinem Schrank sind bunt gemischt: Große Henkeltassen von einer Fortbildung stehen neben der kleinen Tasse mit den Iguazu-Wasserfällen, die ich von Brasilien mitgebracht habe. Da gibt es die selbst bemalte Tasse von meiner ehemals besten Freundin und die „Schön, dass es dich gibt“-Tasse, die ich von einem guten Freund bekam. Auf den „Schietwetter“-Tassen aus dem Nordseeurlaub stapeln sich Kindertassen mit Autos und Bärchen drauf. Das älteste Exemplar von allen ist die filigrane Weihnachtstasse mit Engel, die ich von meiner Oma bekommen habe und die damals schon alt war.
Die Tassen sind nicht unbedingt für Gäste geeignet. Aber das Besondere an ihnen ist, dass mein ganzes Leben in Form von Steingut vor mir steht, wenn ich meinen Schrank öffne. Aus jedem Lebensabschnitt sind ein oder zwei dabei. Manche davon bedeuten mir heute nicht mehr viel. Von ihnen könnte ich mich heute problemlos trennen, während ich andere vielleicht bis an mein Lebensende als Erinnerung behalten möchte.
Dabei sind die Erinnerungen durchaus gemischt. Zwischen mir und meiner ehemals besten Freundin herrschte lange Zeit Funkstille, bevor wir zaghaft wieder Kontakt aufgenommen haben. Die Tasse mit der Mut machenden Aufschrift bekam ich zu einer Zeit, in der ich einen Platz in unserer Gruppe gesucht habe und doch oft das Gefühl hatte, Außenseiterin zu sein. Die Tassen, die mit der Arbeit zusammenhängen, spiegeln für mich die Unsicherheit wider, die ich als Berufsanfängerin hatte. Auf der anderen Seite sehe ich in all meinen Tassen den Reichtum meines Lebens: Auslandsaufenthalte, Urlaubserinnerungen, Menschen, die mich begleitet haben, meine Familie.
Die Sammlung ist ein bisschen so, wie ich selbst bin: Ich bin kein Überflieger mit herausragenden Fähigkeiten. Mein Leben ist in vieler Hinsicht gewöhnlich. Manchmal bin ich deswegen neidisch – zum Beispiel auf die Frau, die mich beruflich längst überflügelt hat, obwohl ich sie eingelernt habe. Hin und wieder schiele ich auf das teure Auto und die Urlaube, die sich eine Bekannte leisten kann. Oder ich wäre gern wie die Kolleginnen oder Mütter, die überall beliebt sind und gleich im Mittelpunkt stehen, egal, wo sie hinkommen.
Trotzdem: Das bunte Tassenpotpourri ist Gottes persönliches Geschenk an mich. Es erinnert mich an all das, was mich zu der Frau gemacht hat, die ich heute bin. Wenn ich den Schrank öffne, sehe ich, wo ich als Persönlichkeit gewachsen bin und Dinge hinter mir gelassen habe. Ich merke, wo ich mehr ich selbst geworden bin, aber ich erkenne auch, wo ich noch loslassen und vergeben will. Die henkeligen Zeugen inspirieren mich immer wieder neu, dazuzulernen und Gott dankbar zu sein: für mein Leben und für alle Tassen in meinem Schrank.
Eine Antwort
Immer wieder schön und bereichernd!