Montag, 20.12.2021

Der halb geschmückte Baum

Etwas traurig legte meine Freundin die letzte Weihnachtskugel weg, die sie vom Baum abgenommen hatte. Bis Heiligabend war es noch etwas hin, aber nach der dritten Kugel, die ihr dreijähriger Sohn als Fußball benutzt hatte, hielt sie es für das Beste, den Baum zumindest zur Hälfte wieder abzuschmücken.
Sie trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn nachdenklich. Die Lichterkette hatte sie nicht von den unteren Ästen entfernt. Wenn ich sie anmache und das Licht aus …? Tatsächlich, im Dunkeln fiel es kaum auf, dass unten die Kugeln fehlten. Ihr Herz machte einen kleinen Hüpfer. Dann hörte sie die Kinder im Flur und knipste schnell das Licht wieder an. Sie seufzte. 
In ein paar Jahren vielleicht, wenn Emil in die Schule und Elise in den Kindergarten geht, versuchte sie sich Mut zu machen. 
Da der Baum mitten im Wohnzimmer stand, ihrem Lebensmittelpunkt und dem Spielort der Kinder, gewöhnte sie sich in den folgenden Tagen an den ungewöhnlichen Anblick und schon bald störte es sie gar nicht mehr. Im Gegenteil. Langsam fand sie Gefallen an dem Baum, wie er war – an seinem Duft, dem Leuchten der Kerzen und der festlichen Atmosphäre, die er verbreitete. 
An einem Abend schickte sie mir eine Sprachnachricht und erzählte mir lachend von ihrem halb geschmückten Baum. Dann fügte sie hinzu: „Und weißt du was? Der Baum erinnert mich daran, dass wir Frauen auch einfach sein dürfen, wie wir sind. Wie dieser Baum sind auch wir ohne Schmuck oder Make-up wunderschön und gut so.“
Egal, wie wir uns in dieser Weihnachtszeit fühlen – ob hübsch und lebensfroh, ob traurig und müde, ob innerlich aufgeräumt oder verwirrt – wir dürfen uns annehmen, wie wir sind. Und einfach sein.

Esther Middeler

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2 Antworten

  1. Eine nette Geschichte zum Schmunzeln.
    Und Audrey Hebburn sagt ja auch:
    Wenn wir alles an uns so lassen wie es ist
    altern wir am schönsten;-)
    In diesem Sinne allen eine gesegnete letzte Adventwoche.

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