Montag, 05.05.2025

Sei eine Schale,

kein Kanal

Der „Ich muss funktionieren“-Modus war lange Zeit mein Grundzustand. Ich trieb mich selbst an, aus einem tiefen Wunsch heraus, gut zu sein – für Menschen, für Gott. Und obwohl ich es liebte, zu geben und mich einzubringen, war ich oft angespannt. Ich hatte Angst, nicht genug zu machen, nicht genug zu sein.

An einem Sonntag – ich befand mich wieder einmal in diesem inneren Zustand – wurde im Gottesdienst ein Text vorgelesen. Ein Gedicht, geschrieben von einem Mönch des 12. Jahrhunderts. Und während ich lauschte, geschah etwas Unerwartetes: Die Worte trafen mich tief und schienen mir direkt ins Herz zu sprechen.

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal,
der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt,
während jene wartet, bis sie gefüllt ist.

Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.
Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.

Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist,
strömt sie zum Fluss, wird sie zur See. Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen und dann ausgießen.

Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt, überzuströmen, nicht auszuströmen.
Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.
Wenn du nämlich mit dir selber schlecht umgehst, wem bist du dann gut?
Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle – wenn nicht, schone dich.

Bernhard von Clairvaux

Etwa 900 Jahre nach seinem Wirken sprach dieser Ordensmann Worte, die mich entlasteten wie kaum etwas zuvor: Es ist kein göttliches Ideal, das mir vorschreibt, ständig am Rand der Erschöpfung zu leben. Ich darf, ja ich soll gut mit mir selbst umgehen. Nur so kann ich auch gut für andere da sein.

Seitdem trage ich das Bild der überfließenden Schale in mir. Es begleitet mich leise durch den Alltag – wie ein freundlicher Hinweis: Echte Liebe strömt nicht aus Mangel, sondern aus Fülle. Und ich kann nur geben, wenn ich selbst satt bin.

Manchmal halte ich inne und frage mich: Bin ich gerade Kanal oder Schale? Und meist kenne ich die Antwort. Vielleicht beginnt echte Fürsorge genau dort – wo wir den Mut haben, uns selbst nicht länger zu übergehen.

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17 Antworten

  1. Dem kann ich nur zustimmen. Welch eine Entlastung und Fürsorge für einen selbst. So lebt man in der Balance und ist auch gesundheitlich geschützt.

  2. Das spricht mir aus dem Herzen, denn ich ertappe mich auch oft dabei, dass ich mir Vorwürfe mache, nicht genug zu tun...
    Mich würde allerdings sehr interessieren, ob und an welchen Stellen in der Bibel es Hinweise oder "Anweisungen" zu diesem Thema (Schale versus Kanal) gibt?!

  3. Mir fällt zu Ursis Anfrage spontan ein, dass Jesus sich zurückgezogen und z.Bsp. in der Nacht gebetet hat. Und er hat auch die Jünger eingeladen, mit ihm an einen einsamen Ort zu kommen und auszuruhen. Oder Maria und Martha, beide Verhaltensweisen haben ihren Platz, aber das Zuhören und bei Jesus sein wird hervorgehoben.

  4. Wunderbar, ganz wunderbar! Ganz lieben Dank fürs Teilen!
    Es ist mir, und sicher vielen Anderen definitiv zum Segen! Ich hatte diese Zeilen schon mal irgendwann gelesen, aber inzwischen vergessen.
    Nun, nach einer längeren krankheitsbedingten Auszeit, und dem Lernen wiiiie wichtig es ist, mit seinen Kräften und Ressourcen zu haushalten, ist dies ein ganz wunderbares Bild, was ich vielleicht sogar einmal in einem Aquarell umsetzen werde, zur Erinnerung 🥰

  5. Ich kann nur Geben, was ich habe, wer will schon meinen Mangel, also mich geistig, körperlich und materiell füllen, ermöglicht mir die Freude Geben zu können, schon Zwei, die sich dann freuen...

  6. Wow! Genau das ist es, liebe Gisela! Vielen Dank! Sehr gute Beispiele, wie wir unsere Schale bis zum Überlaufen füllen lassen können! So einfach, oder? Und gleichzeitig eine wunderbare Bestätigung der Bibelstelle, die mich eigentlich schon wochenlang begleitet: Joh.15,7+8: "Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, so werdet ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren. Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger!"

  7. Dieser Text berührt mich sehr. Erinnert er mich doch daran, wie oft ich nur Kanal bin. Und der Text passt für mich auch so gut zu den sozialen Berufen. Wie enorm wichtig ist es da, gut für sich zu sorgen. Es ist eine gute Erinnerung daran, immer mehr eine Schale zu sein. Danke dafür.

  8. Das passt sehr gut zu mir. Danke für die diese Gedanken und den Hinweis auch für sich selbst zu sorgen. Ich will es beherzigen und manches überdenken.

  9. Ich freue mich ganz sehr, dass Ihr/Sie auch so davon berührt seid und ich Euch mit dem Teilen meiner Geschichte ermutigen konnte.

    Liebe Ursi, mir ist zu Deiner Frage auch direkt eingefallen, dass Jesus sich immer wieder zurück gezogen hat, um mit seinem Papa und dem heiligen Geist Zeit zu verbringen und sich füllen zu lassen. Er hat sogar Menschen, die von ihm Hilfe wollten, dafür wegschicken lassen! Intuitiv bin ich so gerne für andere da. Doch wenn selbst Jesus bewusst vorlebt, nicht seine Schale erst vollkommen leer werden zu lassen und in den inneren "Mangel"-Modus zu kommen, bis er sie auffüllen lässt, sondern in der inneren Fülle zu bleiben und aus ihr heraus zu leben: dann darf ich ihn mir da echt zum Vorbild nehmen.

  10. Vielen lieben Dank für den Beitrag und die ergänzenden Kommentare. Beim Gebot "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst " sehen wir doch sehr häufig sofort auf die Nächstenliebe, doch zuerst soll ich doch mich selbst lieben und achten als Gottes geliebtes Kind. Und aus dieser Erfahrung und Fülle in die Nächstenliebe gehen.

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