Viviana und Chris Boy bieten Menschen in Krisen die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und die eigene Situation mit Abstand zu betrachten. Um die „Atempause“ aufzubauen, sind sie vor zwei Jahren von Köln ins Allgäu gezogen und haben ihre Anstellungen als Lehrer aufgegeben. Ihr Motto lautet: Wir lernen, Gott ganz neu zu vertrauen.
Viviana, vor 20 Jahren hattet ihr die Idee zu einem Auszeit-Haus. Wie kam es dazu?
Viviana: Wir sind beide sehr gerne mit anderen Menschen zusammen. Schon bevor wir verheiratet waren, war uns beiden klar, dass wir uns ein „Haus der Stille“ vorstellen konnten. Damals hatten wir noch kein Konzept, es war einfach der Gedanke da: Wir würden gerne in irgendeiner Weise mit Menschen zusammenleben.
Wir haben geheiratet und dann hat sich unser erstes Kind angekündigt. Als Emma da war, fingen wir auch bald mit unserer Lehrtätigkeit an den jeweiligen Förderschulen an. Unsere Idee wurde erstmal überlagert, andere Dinge waren wichtiger.
Wie ging es weiter?
Dann kam das zweite Kind. Und dann das dritte. Justus war ein Schreibaby mit Regulationsschwierigkeiten. Diese Situation hat uns sehr herausgefordert. Später war ich mit ihm sogar in einer psychosomatischen Klinik, weil er nicht schlafen konnte. Für Chris war das eine sehr anstrengende Zeit, die unter anderem dazu geführt hat, dass er einen Burn-out bekam.
Chris: Durch meinen Burn-out war ich ein halbes Jahr lang beruflich raus, war völlig am Boden. In meiner Reha-Zeit gab es einen Augenblick, in dem ich den Eindruck von Gott hatte: „Da kommt etwas Neues!“ Das Alte, Sichere, Behagliche wird enden und wir werden in etwas Neues, Wildes, Abenteuerliches hineingestellt. Das war der Wendepunkt.
Mit diesem Gedanken kam ich nach Hause. Aber dann war die Frage da: „Was meint Gott damit?“ Im Laufe des folgenden Jahres kamen wir auf den Gedanken eines Auszeit-Hauses für Menschen in Krisen.
Wie hast du auf die Idee reagiert, Viviana?
Nach seiner Reha habe ich ihn gefragt: „Weißt du noch, welche Vision wir früher mal hatten?“ Da hat er mir von seinem Eindruck erzählt. Ich hatte das Vertrauen darauf, dass alles gut werden wird. Natürlich gab es auch emotionale Schwankungen, aber in meinem Herzen war ich ruhig.
Mein Vertrauen in Gott ist gewachsen, seit wir im Allgäu leben. Wir können uns nur darauf verlassen, dass Gott uns versorgt.
Ihr kamt also selbst aus der Krise und wolltet ein Angebot für andere machen? Das stelle ich mir anstrengend vor …
Chris: Es war ein langer Prozess. Ein Jahr nach der Idee hatten wir einen besonderen Moment in der Ferienwohnung im Haus meiner Großeltern. Dort hatten wir als Familie schon oft Urlaub gemacht. An diesem Morgen haben wir die Schiebetür aufgemacht, uns angeschaut und gesagt: „Das Auszeithaus ist ja hier!“ Wir hatten vorher immer an einen Platz am Meer gedacht. Ohne dass wir danach gesucht hatten, entstand am nächsten Tag schon der Name „Atempause“. Ab diesem Moment war alles anders.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben relativ bald unseren guten Freunden von unserem Traum erzählt. Sie waren total begeistert und tragen seitdem die Idee mit. Langsam haben wir uns dann getraut, auch anderen davon zu erzählen.
Chris: Wir haben uns immer wieder die Frage gestellt: „Gehen wir wirklich ins Allgäu und legen das Beamtentum ab? Oder geht einer von uns halbtags arbeiten? Wieviel Sicherheit brauchen wir?“ Und Vivi hat dann gesagt: „Das Beamtentum ist wie eine goldene Fußfessel“. Das war eine Woche vor diesem Gebet. Der Mann dort hatte den Eindruck, dass wir erst die goldene Fußfessel ablegen müssen. Das war ein ermutigendes Puzzlestück in diesem ganzen Prozess.
Viviana: Bekannte von uns haben gesagt: „Chris und Vivi finden das Allgäu so toll, deshalb ziehen sie dort hin.“ Aber so war es nicht. Wir sind nicht ins Allgäu gegangen, um dort irgendetwas zu machen. Sondern wir hatten etwas auf dem Herzen und dafür brauchten wir einen Ort.

Wie sieht denn so ein Aufenthalt in der „Atempause“ praktisch aus?
Chris: Wir haben eine Ferienwohnung, die wir vermieten. Der Gast kann je nach Bedarf einmal am Tag ein Beratungsangebot in Anspruch nehmen. Die restliche Zeit soll eine Einladung an den Gast sein, es sich gut gehen zu lassen – spazieren zu gehen, zu wandern, zu schlafen, zu lesen oder zu schreiben. Jeder bekommt am Anfang ein kleines Schreibheft und Schreibzeug von uns geschenkt.
In dieser Freiraum-Zeit, in der man sich nicht ablenkt, kann ein Thema größer werden oder sich ein Gedanke festsetzen oder auch Gott Raum bekommen. Wir merken, dass in diesen Zeiten sehr viel passiert. Abends kommen wir kurz zusammen und fragen den Gast, wie der Tag war, was er oder sie erlebt hat, wie er oder sie in die Nacht geht und ob wir noch beten sollen. Am nächsten Tag geht es dann mit der Beratung weiter. Das wäre so ein klassischer Ablauf. Aber wir hatten schon ganz viele Varianten. Wir hatten auch schon Mütter mit kleinen Kindern hier, bei denen dann unsere Kinder die Kinderbetreuung übernommen haben.
Ihr seid Paarberater. Nehmt ihr auch Ehepaare auf?
Ja, vor Kurzem war ein Paar für fünf Tage hier. Mit ihnen haben wir uns morgens und nachmittags zur Beratung getroffen. Es wurde sehr deutlich, dass jeder von ihnen einen schweren Rucksack hatte. Wir haben sie sowohl als Paar und auch als Einzelne beraten.
Das gesamte Interview gibt es in Lydia 1/25