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Nach Hause kommen,

wo ich noch nie gelebt habe ...

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Nach 37 Jahren in Deutschland sind Lydia-Gründerin Elisabeth Mittelstädt und ihr Mann Ditmar in die USA gezogen. Für Lydia beschreibt sie, wie sich ihr Leben seitdem verändert hat und welche Erfahrungen sie in dem neuen Lebensabschnitt gemacht hat.

An einem kalten Novembertag 2018 traf unser Container in Asslar-Berghausen ein.
Wir ziehen also wieder einmal um, dachte ich.
Als alles eingeladen war, bat mich der Mitarbeiter der Umzugsfirma, den Container zu schließen und zu versiegeln, bevor er zu unserem Ziel nach Übersee ging.
Danach kehrte ich in unser leeres Haus zurück. Nein, es war nicht wirklich leer, da wir die meisten unserer Möbel zurückließen. Es hätte einfach zu viel gekostet, sie mitzunehmen. Herr, es ist nicht leicht. Es wird jedes Mal schwieriger, obwohl wir doch schon 17-mal umgezogen sind.
Ich setzte mich auf das Sofa, griff zu meinem Andachtsbuch und las: „Ihr müsst nicht in Panik aufbrechen und braucht nicht um euer Leben zu laufen. Denn der Herr wird vor euch hergehen. Der Gott Israels wird euren Rücken decken“ (Jesaja 52,12). O Herr, danke. Du ermutigst mich durch dein Wort. Was für ein Versprechen! Ich werde mich daran erinnern, wenn ich versucht bin zu zweifeln.
Wir wussten, dass wir eines Tages, wenn wir alt wären, zurück nach Kanada oder in die USA ziehen würden, weil wir die dortige Staatsbürgerschaft haben. Aber wir hätten nie gedacht, wie schnell wir alt werden würden! Ja, dieses Jahr bin ich 75 Jahre alt geworden. Ich wünschte, ich könnte sagen, was über Mose gesagt wurde: Er war einhundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Sein Augenlicht war scharf, und er hatte noch immer einen federnden Gang. Für mich gilt das leider nicht!

Größer als meine Träume

1981, als wir nach Deutschland zogen, nahm mein Mann Ditmar eine neue Stelle an der ICI Global University an, einer Fernhochschule, die einen Bachelor of Arts in Theologie anbietet. Der Studiengang für Deutschland war gerade gestartet worden und das Institut brauchte einen Leiter. Wir waren jung und begeistert, dass Ditmar hier die Gelegenheit wahrnehmen konnte, etwas zu tun, was er wirklich gern tat.
Aber was ist mit mir, fragte ich mich. Was kann ich tun? Ich hatte gehofft, eine Familie zu gründen. Als es nicht so kam und sogar zwei Adoptionsversuche gescheitert waren, legten wir diesen Traum in Gottes Hände und vertrauten darauf, dass er einen anderen Plan hatte.
Wie überrascht war ich, als Gott mir 1986 Lydia – die christliche Zeitschrift für die Frau anvertraute. Ich begann mit einer einzigen Vision: Frauen auf ihrer Lebensreise zu ermutigen. Im Laufe meiner Zeit als Herausgeberin von Lydia suchte ich gerne nach Geschichten für die Zeitschrift – vor allem Geschichten, die die Macht Gottes zeigten. Wenn ich Lydia heute lese, bin ich dankbar, dass Chefredakteurin Ellen Nieswiodek-Martin die Vision bewahrt hat. Und dass Lydia in diesem Jahr den 35. Geburtstag feiert!

Auf der Suche nach einem Zuhause

Während unser Container über den Ozean schipperte, flogen wir mit unseren vier Koffern nach Los Angeles. Als wir ankamen, holten uns gute Freunde ab und nahmen uns mit zu sich nach Hause. Ein paar Tage später fuhren mein Mann und ich zu unserem zukünftigen Haus, das er bereits Jahre zuvor, als er in Kalifornien studierte, als Kapitalanlage gekauft hatte. Während der Fahrt nach Placentia und vollends, als wir in unsere Straße, die Hemingway Avenue, einbogen, hatte ich das Gefühl, nach Hause zu kommen – obwohl ich hier noch nie gelebt hatte. Das Haus war ziemlich heruntergekommen und wir mussten viel Arbeit hineinstecken. Meine Schwester aus Dallas kam, um uns zu helfen. Am Morgen nach ihrer Ankunft sagte sie: „Weißt du, du wohnst jetzt so nah an Disneyland, dass ich in der Nacht das Feuerwerk gehört habe! Und der Pazifik ist nur dreißig Minuten entfernt. Los, lass uns hinfahren!“
„Oh nein, Erika, ich habe zu viel zu tun“, sagte ich. Ich pflanzte gerade meine Orangenbäume. Und in diesem Jahr konnten wir mehrere hundert Orangen ernten – so viele, dass wir sogar welche an unsere Nachbarn verschenkten! Kein Wunder. Südkalifornien hat im Jahr über dreihundert Sonnentage, und mir scheint, hier wächst alles doppelt so schnell wie an anderen Orten. Und inzwischen sind wir oft mit unseren Freunden und Besuchern in Disneyland gewesen.

Als unsere Welt sich veränderte

Dann traf Covid-19 die Welt. Es folgte ein Lockdown, und die Regale der Lebensmittelgeschäfte leerten sich, als die Menschen anfingen zu horten – vor allem Toilettenpapier. In der Tat, als einmal die Garagentür unserer Nachbarn offen stand, sah ich Stapel von Toilettenpapier!
Wir alle hofften, dass es in wenigen Monaten vorbei sein würde. Aber die Monate kamen und gingen und immer mehr Menschen infizierten sich – auch einige enge Freunde. Der Pastor unserer neuen Gemeinde sagte: „Ich hatte noch nie so viele Beerdigungen.“
Es gibt viele kleine Kinder in unserer Nachbarschaft. Es tat uns so leid für sie. Eines Tages kletterte unser vierjähriges Nachbarsmädchen Corrie auf den Zaun, schaute hinüber in unseren Garten und rief: „Wo bist du, Elisabeth?“
Ja, wo bin ich?, dachte ich. Ich kämpfe, auch mit meiner Gesundheit. Ich beschloss, dass es Zeit war, eine Ärztin aufzusuchen. Während ich mit ihr sprach, fragte sie: „Woher kommen Sie?“ Als ich ihr alle Länder aufzählte, in denen ich schon gelebt hatte, meinte sie: „Willkommen, Vereinte Nationen!“ Dann fügte sie hinzu: „Ich habe auch zwei Jahre in Deutschland gelebt, nachdem meine Familie aus Afghanistan geflohen war.“ Sie erzählte mir von dem Leid, das sie erlebt hatte, vor allem, als die Russen im Land waren.
„Es tut mir so leid“, sagte ich. „Ich glaube, ich kann ein wenig verstehen, was Sie durchgemacht haben.“ Sie wollte mehr über mich wissen. Also erzählte ich ihr von mir. Ich erwähnte auch, dass ich gerade meine Autobiografie eingereicht hatte, um sie in englischer Sprache zu veröffentlichen. Sie wollte sie lesen, und ich versicherte ihr, dass sie ein Exemplar bekommen würde, wenn das Buch erschienen war. „Aber bis dahin“, sagte ich, „habe ich einen anderen Vorschlag für Sie – ein Buch, das ein Freund geschrieben hat, der als Missionar in Afghanistan war.“
Unser Gespräch zog sich hin. Schließlich schaute ich auf die Uhr und sah, dass über eine Stunde vergangen war. „Ich denke, wir müssen aufhören“, sagte ich zu ihr. „Wir können uns ein anderes Mal treffen.“
Ich war dankbar für diese Gelegenheit, zumal ich mich in meiner morgendlichen Gebetszeit ein wenig darüber beschwert hatte, wie nutzlos ich mich während des Lockdowns fühlte. Ich weiß, dass ich von dir, Gott, nicht wegen der Dinge geliebt werde, die ich tue. Aber es wäre schön, ein bisschen mehr involviert zu sein – vor allem jetzt, wo alles so sinnlos scheint und es so viel Hoffnungslosigkeit gibt. Aber als ich darüber nachdachte, war ich erstaunt, wie viele Gelegenheiten sich ergeben hatten.

Angst überwinden

Wenn wir diese Welt aus menschlicher Sicht betrachten, können wir in Angst, Sorge und Unruhe geraten. Aber wenn wir die Welt aus einer biblischen Perspektive sehen, können wir uns auf Gott konzentrieren. Die Bibel ist voll von Passagen, in denen es heißt: „Fürchtet euch nicht.“ Tatsächlich finden wir diese Aufforderung 366-mal in der Bibel, einmal für jeden Tag des Jahres. Das ist öfter als jedes andere Gebot!
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Probleme sich lange hinziehen können. Aber sie werden nicht ewig andauern. Ich liebe die Verheißung: „Und wir wissen, dass für die, die Gott lieben und nach seinem Willen zu ihm gehören, alles zum Guten führt“ (Römer 8,28). Wir haben einen Gott, der Probleme gänzlich umkrempeln kann – und niemand, der Gott liebt, wird ausgeschlossen. Er verwandelt Lasten in Segen. Und er weiß sogar, wie man der Traurigkeit Freude abringt.
Wenn ich Anfang 2020 gewusst hätte, dass all das Leid, all die Probleme irgendwann zum Guten führen würden – nicht nur für mich, sondern auch für andere –, hätte das meine Einstellung verändert?
Zwei Monate später rief meine Ärztin mich an und erkundigte sich, wie es mir geht. Sie sagte: „Ich möchte mich für das Buch „Afghanistan, My Tears“ von David Leatherberry bedanken. Ich habe es gelesen, meine Mutter, mein Vater und meine Schwägerin auch. Wir haben geweint. Wir waren so bewegt.“ Ich weiß, wir werden noch viel mehr Gelegenheiten haben, unsere Freundschaft zu vertiefen und Gespräche zu führen.

Betrachten wir unsere Umstände aus Gottes Perspektive! Wachsen wir über unsere Probleme hinaus!
Und vertrauen wir Gott, der seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle hingegeben hat. Er wird Sie in diesem Jahr tragen – und in jedem anderen Jahr auch.
Juliana von Norwich, die während der Pestzeit lebte, die vor ein paar Jahrhunderten die Bevölkerung Europas drastisch dezimierte, hatte diese Gewissheit: „Alles wird gut sein, und alle werden gut sein, und aller Art Dinge wird gut sein.“

Dieser Artikel erschien in Lydia 3/2021.

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2 Antworten

  1. Surprise
    Beim Aufschlagen der aktuellen Ausgabe konnte ich mein Glück kaum fassen, noch einmal ein paar Zeilen von Elisabeth Mittelstädt zu lesen. Das tat so gut.

    Vielen, vielen Dank dafür.
    Alles Liebe aus Deutschland... mit dem Musikvideo :
    Wenn der König wiederkehrt von Miroslav Chrobak

  2. Hallo,Elisabeth!
    Ich lebe in Rumänien ,wo die " Lydia" auch erscheint.
    Deine Einführungsartikel habe ich immer sehr gerne gelesen,Dein autobiographisches Buch.( ich war erstaunt zu erfahren ,wie viel Du in Deinem Leben gelitten hast🤔)
    Ich sehne mich nach Deinen Artikeln,darum suchte ich in Google ,wie es Dir noch geht.
    So habe ich erfahren ,dass Du und Dein Mann zur Zeit ,oder für immer ,in VSvon Amerika lebt.
    Ich wünsche Euch alles Gute und Gottes Segen in allen Aktivitäten,die Ihr dort habt!

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