Wenn die Angst ihre Macht verliert

Winterlich gekleidete Frau mit Stern im Hintergrund

Eine medizinische Diagnose zog mir den Boden unter den Füßen weg. Ich betete und bat Gott, mir zu helfen und meine Situation zu wenden – was er bisher nicht getan hat. Und ich betete dafür, dass er die scheußlich-bedrückende und lähmende Angst von mir nimmt und mir hilft, mit der Situation zu leben. Und durch ein Weihnachtslied tat er das auch.

Von Maja Vorhölter

Wenn ich meine Angst in dieser Zeit beschreiben sollte, so trifft es das Kunstwerk „Der Schrei“ von Edvard Munch ziemlich genau. Auf diesem Bild schreit eine Person mit weit aufgerissenen Augen, der Mund vor Entsetzen weit geöffnet. Die Hände vor Schreck in die Höhe an den Kopf gerissen, starrt sie in eine bestimmte Richtung. Wer tiefe Ängste kennenlernen musste, wird sich vielleicht auch in diesem Bild wiederfinden.

Die Angst drückte mich nieder wie eine Bleischürze, über alles in meinem Leben legte sie einen düsteren Schleier. Gleichzeitig putschte sie mich auf, indem sie meine Gedanken in ein Karussell schickte, das Loopings vollführte. Sie raubte mir den Schlaf und verstellte mir den Blick auf lösungsorientierte oder gar positive Gedanken. Sie bewirkte eine Art Schockstarre mit gleichzeitigem vulkanischen Adrenalinausbruch. Die Erde riss auf und es flog mir alles um die Ohren.

Nur fünf Worte

Ich betete und heulte und heulte und betete. Auch wenn ich Gott gerade gar nicht verstand, merkte ich doch, dass er seine Aufmerksamkeit auf mich gerichtet hatte und mich sah, denn er begegnete mir so, wie ich ihn am besten verstehen kann: an meinem Schreibtisch und in meinen Erinnerungen. Auf meinem Schreibtisch sammelt sich immer einiges an: Textschnipsel, Zettel mit diversen Zitaten, Materialien zum Basteln, Ideen für Andachten, Papiere für Collagen und vieles mehr. Ein Graus für jeden Minimalisten, für mich aber meine Ideensammelstelle! Und wie sich herausstellte, benutzte Gott einen Schnipsel, um auf mein Gebet zu antworten.

Was ich eigentlich an diesem Tag an meinem Schreibtisch tun wollte, weiß ich nicht mehr. Doch plötzlich hatte ich aus einem Wust von Zetteln einen mit einem Gedicht von Iris Macke in den Händen. Die erste Zeile hieß: „Nimm der Angst ihr Zepter.“ Mehr als diese fünf Worte brauchte ich nicht. Ich las die Zeile immer und immer wieder.

Meine erste Reaktion war ein Lächeln und ich wurde gewahr, dass mein Gott mich, meine Biografie und jede lustige Anekdote aus meinem Leben kennt. Und genau da holte er mich ab. Es schien mir, als lächelte er mit mir und teilte sogar meinen Humor! Denn beim Wort „Zepter“ sprang in meinem Kopf sofort eine Schublade auf.

Eine unfromme Chorprobe

Ich dachte an eine Szene vor vielen, vielen Jahren. Ich war etwa fünfzehn Jahre alt. Der Chorleiter unserer Gemeinde übte mit uns das Lied „Freue dich, Welt“ für den Weihnachtsgottesdienst ein. Ich saß mit meiner Freundin im Sopran. Und auf einmal tuschelten und kicherten wir zwei Teenager leise vor uns hin. Denn in der zweiten Strophe heißt es über Jesus: „Sein Zepter heißt Barmherzigkeit und Lieb´ ist seine Macht.“ Wir giggelnden Mädels hingegen dachten – ganz unfromm – an unsere Mitsängerin, die vier Stühle weiter schwer verliebt war und von der wir wussten, dass ihr Liebster mit Nachnamen Zepter hieß. Lieb´ war auch seine Macht! Wir schmetterten die Liedzeile und mussten uns selbst kneifen, damit wir nicht lauthals herausprusteten und die Chorprobe störten.

Der wahre Herrscher

Jedes Weihnachten, aber immer wieder auch bei Schreckensnachrichten über despotische Herrscher dieser Welt, bin ich zutiefst dankbar, dass ich meinen Herrscher feiern kann, dessen Zepter Barmherzigkeit und dessen Macht die Liebe ist. Er ist so grundsätzlich und staunenswert anders als die Mächtigen dieser Welt!

Während ich nachdenkend an meinem Schreibtisch saß, merkte ich, dass Gott mir gerade begegnete wie ein sehr alter, sehr guter und sehr liebevoller Freund. Ich hatte immer im Geheimen gedacht, dass Gott sich nur mit Leuten wie Mose unterhält. Von dem wird berichtet, dass Gott mit ihm wie mit einem Freund redete (2. Mose 33,11). Aber jetzt merkte ich, dass er es auch mit mir tat. Und das rührte mich sehr! Meine Gedanken tasteten sich auf eine Lösung zu. Gott brachte sie sanft in eine gute Richtung.

Ich staunte: Mein Gott weiß, wie er mir begegnen kann! „Auch dich lockt er aus dem Rachen der Angst in weiten Raum“, wie es die Lutherbibel von 1912 im Buch Hiob beschreibt (Hiob 36,16). Nachdem mich Gott freundlich seiner Liebe versichert und damit meine Angstgedankenzirkel unterbrochen hatte, glitt mein Blick auf den Satz zurück: „Nimm der Angst ihr Zepter.“ Nimm! Nimm weg! Tu was, handle! Gott half mir, meinen Blick zu weiten, und gab mir einen lösungsorientierten Gedanken. Diese Worte sagten mir: Ich kann, ja, ich darf und sollte dringend handeln! Ich war nicht imstande, äußerlich der neuen, schweren Situation  etwas Wirksames entgegenzusetzen. Doch ich begriff, welchen bedeutsamen Schritt ich gehen konnte: Nicht die Angst sollte den Herrschaftsstab haben, sondern ich sollte mich als Handelnde in meinem Leben begreifen und die Angst in ihre Grenzen weisen. Denn ob die Angst über mich herrscht, kann ich mit Jesu Hilfe sehr wohl ändern.

Den richtigen Platz einnehmen

Und so setzte ich mich bewusst in meine stille Ecke, in der ich oft bete. Ich stellte mir die Angst auf dem Bild von Edvard Munch vor und sagte laut: „Angst, es ist gut, dass es dich gibt und dass du deine Arbeit machst. Du bist ein Teil von mir. Und du hast völlig Recht, die Situation ist schrecklich traurig. Aber es geht nicht, dass du mein Leben so sehr bestimmst und erdrückst. Setz dich bitte in den Schaukelstuhl und entspann dich! Ich nehme dir das Zepter weg und gebe es Gott. Denn: Sein Zepter heißt Barmherzigkeit und Lieb´ ist seine Macht.“

Dann betete ich: „Lieber Vater im Himmel, bitte nimm das Zepter über mein Leben in die Hand, ich gebe es dir!“ Daraufhin wurde es endlich still in mir. Ich saß vor meinem Gott. Still und dankbar. Meine Angst schien allmählich auf ein „Normalmaß“ zurückzuschrumpfen. Der Vulkan in mir sprühte nicht mehr. Ich atmete durch.

Mitten hinein in die Angst

Natürlich ploppt die Angst immer mal wieder auf. Es wäre ja auch komisch, wenn nicht. Sie gehört zu mir, genauso wie der Mut, die Ausdauer, die Wut und die Freude. Aber immer, wenn die Angst wieder zu viel Raum einnimmt, schicke ich sie freundlich „zum Ausruhen in den Schaukelstuhl“ und bitte Gott, sein Zepter über mich zu halten. Das ist für mich eine gute Art, mir bildlich vorzustellen, wer in meinem Leben die Macht haben darf und soll. Und bei diesem Visualisieren bin ich froh, dass ich handeln kann: Ich gebe Gott alles in seine treuen Hände. Meine Seele ist seitdem leichter oder sie kommt bei erneuter Beunruhigung schneller wieder zur Ruhe. Das tut mir auch körperlich gut.

Es ist erstaunlich, wie Gott mich erhört und durch nur fünf Worte geführt hat. Für mich hat das so viel mit Weihnachten zu tun. Denn da kommt Gott zu uns, mitten in die Angst der Welt und auch mitten in unsere ganz persönliche Not und Angst. Er bietet uns an, dass wir ihm das Zepter über unser Leben geben und seine treue Fürsorge und Liebe erfahren. Das ist ein sehr guter Grund, um mit ihm laut und froh Weihnachten zu feiern!

Maja Vorhölter ist ein Pseudonym.
Veröffentlicht am 13. Dezember 2023.

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3 Antworten

  1. Das ist mal ein treffendes Bild für die Angst (aber auch für andere negative Gefühle) Gott soll das Zepter über mein überbordendes Gefühl in die Hand nehmen. Eine machbare Hilfe das Bild mit Schaukelstuhl und das Zepter an Gott ageben. Herzlichen Dank, sehr wertvoll, hat sich mir sofort eingeprägt. Und es stimmt, Gott gebraucht die Sprache, die ich spreche bzw. verstehe.

  2. Welch herrliche Gotteserfahrung, nicht nur punktuell, sondern immer wieder. Danke fürs Berichten. Es macht Mut und Zuversicht.

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