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Erschöpfungsdepression: Wenn nichts mehr geht

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Als mir mein Körper zeigte, dass ich so nicht weitermachen konnte, musste ich lernen, ein neues Tempo in meinem Leben einzuüben.

Neun Jahre lang arbeitete ich als Vollzeitmitarbeiterin und Sozialpädagogin in einem Wohnheim der Heilsarmee. Ich engagierte mich voll und ganz und liebte meine Aufgabe. Ich wohnte im Heim und hatte häufig Bereitschaftsdienst in der Nacht. An meinen freien Tagen hatte ich oft Kopfschmerzen und verspürte Übelkeit, doch ich schenkte dem wenig Beachtung.

Ohne Kraft
Dann hatte ich Urlaub. Ich freute mich, eine größere Reise zu machen. Gemeinsam mit einer Reisegruppe flog ich für zwei Wochen nach Israel. Es waren sehr eindrückliche, schöne Ferien. Ich genoss sie in vollen Zügen. Als ich meine Arbeit wieder aufnahm, hatte ich bald Probleme mit dem Kreislauf. Mehrere Wochen litt ich an Schwindelanfällen. Dann kam eine große Kraftlosigkeit über mich, sodass ich nicht mehr fähig war zu arbeiten. Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und emotionale Störungen kamen hinzu. Nun wusste ich, dass ich einen Facharzt brauchte. Ich nahm Kontakt zu einem Psychiater auf.

Der lange Weg der Therapie
Es begann ein langer, schmerzlicher Weg. Ich musste lernen, zu meiner Schwäche zu stehen und auch ohne Leistung – wirklich ganz ohne Leistung – wertvoll und geliebt zu sein von Gott und von Menschen. Ich hatte in meiner Kindheit erfahren, dass ich mich von meinem Vater geliebt fühlte, wenn ich eine gute Leistung erbrachte. Leistung gleich Anerkennung, das war mein Motto.
Ein weiterer Grund meiner Erschöpfungsdepression war ein Trauma in meiner Kindheit. Jahrelang hatte ich es vergessen und verdrängt, bis es mit Hilfe der Therapie ans Licht kam: sexueller Missbrauch.

Nicht mehr belastbar 

Mehrere Monate konnte ich nicht arbeiten. Mein Arzt sagte mir sogar, dass ich mit zwei Jahren rechnen müsste, bis ich wieder vollständig genesen sei. Das empfand ich als Schlag ins Gesicht. Doch mit der Zeit ging es in ganz kleinen Schritten aufwärts. So konnte ich meine Arbeit zu 50 Prozent wieder aufnehmen. Nach kurzer Zeit aber meldeten sich die Erschöpfungssymptome zurück. Ich war einfach nicht mehr belastbar. So musste ich meine geliebte Arbeit aufgeben. Das war natürlich mit einem Wohnungswechsel verbunden.
Mein Arzt beantragte für mich eine Invalidenrente. Kompetent und einfühlsam half er mir, diesen Schritt zu akzeptieren. Die Heilsarmee sorgte dafür, dass ich in Basel im Bildungszentrum wohnen und mich weiter stabilisieren konnte. Mit der Zeit konnte ich dort kleine Aufgaben übernehmen. Das alles war eine enorme Veränderung in meinem Leben.

Neue Prioritäten finden
Heute sehe ich vieles anders als vorher. Mir sind Dinge unwichtig geworden, die ich vorher als wichtig einstufte. Und umgekehrt. Ich habe gelernt, für kleine Dinge dankbar zu sein. Zufrieden zu sein mit meinem Leben, wie es ist. Dankbar zu sein für Gottes Liebe. Das Leben als ein Geschenk anzunehmen. Vergängliches loszulassen und ewige Werte wie Glaube, Hoffnung und Liebe festzuhalten. Und ich habe gelernt, Nein zu sagen – ganz wichtig für Menschen, die dazu neigen, allen alles recht zu machen. Natürlich gelingt es mir nicht jedes Mal, meine begrenzte Belastbarkeit zu akzeptieren. Es gibt immer wieder Momente, in denen ich aus meiner Haut schlüpfen möchte. Doch grundsätzlich kann ich sagen, dass ich meine Lebenssituation angenommen habe.
Eine Erschöpfungsdepression oder einen Burn-out zu durchleben heißt in den meisten Fällen, dass der Betroffene nach einer gewissen Zeit wieder gesund wird. Sicher, eine „Narbe“ bleibt, aber er ist wieder fähig, seinen früheren Tätigkeiten nachzugehen. Doch bei mir war es anders.

Pausen einplanen
Wegen Umstrukturierungen im Bildungszentrum in Basel wurde ich nach Bern versetzt. Ich konnte dort im Alters-und Pflegeheim im Besuchsdienst mithelfen. Einmal in der Woche machte ich als freiwillige Helferin bei den Heimbewohnern Besuche.
In Bern lernte ich dann meinen Mann kennen. Wir heirateten und zogen nach Ostermundigen. Hier wohnen wir am Rande der Kleinstadt in einer schönen Mietwohnung. Ich bin immer wieder dankbar, wenn ich alle anfallenden Arbeiten als Hausfrau bewältigen kann. Damit meine Kraft bis zum Abend reicht, muss ich einen ausgiebigen Mittagsschlaf machen und auch sonst Pausen einlegen.
Seit gut einem Jahr gehe ich nicht mehr ins Alters- und Pflegeheim. Mein Wunsch, wieder mit Kindern zu arbeiten, ging in Erfüllung. Ich helfe vierzehntägig im „BabySong“ in der Heilsarmee Bern mit. Hier kommen Mütter, manchmal auch Väter und Großeltern mit ihren Kleinkindern. In Gruppen lernen die Kinder verschiedene Lieder und Bibelverse. Dann gibt es einen Imbiss und eine Spielecke, sodass sich die Mütter untereinander austauschen können. Ich pflege den Kontakt zu den Müttern und Kindern.

Himmlische Kraftquelle
Regelmäßig passe ich auf die Kinder von Bekannten auf. Das kostet mich Kraft, aber es bereitet mir auch viel Freude. Jedes Mal, wenn ich die Kinder wieder gesund abgeben darf, bin ich Gott dankbar für seine Bewahrung. Durch die Heirat habe ich zwei erwachsene Stiefsöhne bekommen. Von Anfang an haben sie mich akzeptiert und umgekehrt natürlich auch. Ich freue mich, wenn sie uns besuchen.
Immer mehr wird mir bewusst, dass ich meinen Alltag ohne Jesus nicht schaffe. Und das ist auch gut so: Er will es in mir schaffen, er will mir Kraft und Leben sein.

Veröffentlicht am 10. Juni 2020

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2 Antworten

  1. Vielen Dank für den gesegneten Artikel! Da ich in ähnlicher Lage bin und auch sagen darf, ohne Jesus kann man das nur schwerlich ertragen. Die Themen Depression, Burn-out, physische Erkrankungen sind noch immer ein Problem bei "Gesunden Menschen" das nie richtig Anerkennung bekommen hat. Wie dankbar bin ich das meine Hilfe vom Herrn kommt! Artikel wie dieser können eine Hilfestellung auch für betroffene Angehörige sein. Gott segne die Zeitschrift Lydia! Lg Cordula Zitzke

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