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Wenn ich nicht mehr

beten kann

Eine Frau, die müde und traurig wirkt.

Enttäuschungen, Schmerz und Leid oder unsere eigene Schuld können uns davon abhalten, Gott im Gebet zu begegnen. Aber Jesus lädt gerade diejenigen, die mühselig und beladen sind, ein, bei ihm Ruhe zu finden.

Ich sehe mich noch heute im Marburger Krankenhaus mit einer anderen jungen Frau zusammen im Zimmer. Wir beide hatten gerade entbunden, und sie war sehr schwach. Ihre Worte klangen wie ein Hilfeschrei: „Frau Lehmann, ich kann nicht mehr beten!“ Also betete ich für die junge Frau. Sieben Jahre zuvor hatte ich die Macht der Fürbitte am eigenen Leib verspürt, als unser zweites Kind nach nur einem Tag starb. Trotzdem empfand ich einen tiefen Frieden, den ich mir nicht erklären konnte.

Als ich damals vom Krankenhaus wieder nach Hause kam, besuchten mich viele Frauen verschiedener Gemeinden. Sie erzählten mir, dass sie intensiv für mich gebetet hatten, und ich merkte, dass der Frieden, den ich spürte, Gottes Antwort auf all diese Gebete war. Aber auch wenn wir nicht immer so treue Fürbitter haben, können wir uns sicher sein, dass Jesus Christus für uns beim Vater bittet. Er hat selbst zu Petrus gesagt: „Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre“ (Lukas 22,32), und das tut er auch noch heute für alle, die an ihn glauben. Gerade dann, wenn uns das Gebet schwerfällt.

Ich kann nicht mehr beten

Es gibt unterschiedliche Situationen, die das Gebetsleben stören können. Eine psychische oder körperliche Erschöpfung wie bei der jungen Frau im Krankenhaus kann eine Ursache sein. Es kann auch eine plötzliche Enttäuschung sein, die das Gebet schwer werden lässt. Besonders trifft uns der Tod eines nahestehenden Menschen. Ein Mann in den Fünfzigern erzählte vom Unfalltod seines Sohnes. Bei der Trauerfeier hatte er die Faust in der Hosentasche geballt, als er über der Kanzel den Bibelvers sah: „Ich stärke dich, ich helfe dir auch.“ Später erzählte er mir, dass genau diese Worte ihn getröstet hatten. Trotzdem konnten seine Frau und er ein Jahr lang nicht mehr beten, sondern nur noch die Losung der Herrnhuter Brüdergemeinde lesen – erst allein und dann zusammen.

Auch das Bewusstsein eigener Schuld kann uns vom Gebet abhalten. Weil ich zum Beispiel eine bestimmte Verfehlung nicht bekenne, finde ich keine Ruhe im Gebet. Oder wenn ich sehr lange auf eine bestimmte Sache warte und immer wieder bete, und es passiert nichts, kann es passieren, dass ich resigniere und das Gebet aufgebe.

Das Herz vor Gott ausschütten

Wie können wir, wenn wir von äußeren Faktoren oder eigener Schuld so enttäuscht sind, dass wir nicht mehr beten können, wieder damit anfangen? Mit Ehrlichkeit. Das Herz vor Gott ausschütten. Ärger, Wut und Frust dürfen raus. In dem Liederbuch des Volkes Israel, den Psalmen, wird Gott sogar immer wieder angeklagt. Und der Prophet Elia, dem die Königin Isebel nach dem Leben trachtet, wünscht sich zu sterben: „Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele“ (1. Könige 19,4).

Daraus lerne ich, dass ich meine Klage formulieren und vor Gott bringen darf. Die biblischen Schreiber wussten, dass sie mit allem Aufstand, Aufbegehren und Zorn zu Gott kommen können.

Vielleicht brauche ich auch eine Freundin, einen Seelsorger, einen Familienangehörigen oder eine Therapeutin, wo ich meine Gefühle herauslassen kann. Alternativen sind Tagebuch schreiben, malen, Musik hören oder einen Spaziergang machen. Als ein nahestehender Mensch verstorben ist, bin ich nach draußen gegangen und habe zu Gott geschrien: „Herr, warum? Warum? Warum?“ Auch wenn mir das geholfen hat, tiefen inneren Frieden fand ich erst in Gottes Wort, als ich in Römer 8,32 las: „Gott hat nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle gegeben.“ Gott weiß, wie es ist, wenn jemand stirbt, den man liebt. Denn er hat seinen eigenen Sohn hingegeben.

Manchmal kann man keine eigenen Worte finden; dann können Gebetsworte von anderen helfen. In einer sehr schweren Situation waren mein Mann und ich nur zu einem Satz fähig, den wir gelesen hatten: „Herr, wir legen uns in deinen Mantel mit unserer verwundeten Seele.“ Die Worte anderer leidgeprüfter Menschen können uns im Trauerprozess helfen wie das Beten von Psalmen oder Gesangbuchversen und Gespräche mit Menschen, die ähnliches Leid erlitten haben.

Wichtig finde ich auch, wenn ich in so einer Phase stecke, mir selbst etwas Gutes zu tun, wie zum Beispiel ein leckeres Essen genießen, Blumen kaufen, ein Hobby pflegen oder mir selbst eine andere kleine Freude machen.

Ein besonderes Weihnachtsfest

Mir persönlich hat es auch geholfen, mich – obwohl ich selbst in einer belasteten Situation steckte –, um andere zu kümmern. Besonders erinnere ich mich an das Weihnachten nach dem Tod unseres kleinen Martins. Vier Wochen, nachdem unser Junge gestorben war, kam der 24. Dezember. Ich hatte Angst vor dem Heiligen Abend; ich befürchtete, dass ich nur weinen und grübeln würde. Auch die zweijährige Anette, die fröhlich auf dem Boden herumkrabbelte, war kein Trost für mich. Wie sollte ich nur die kommenden Stunden überstehen?

In meine traurige Stimmung hinein verschaffte sich ein anderer Gedanke Raum. Wem wird es in unserem Dorf heute Abend noch schlechter als mir ergehen? Der junge Lehrer fiel mir ein, dessen Vater wenige Tage vor dem Fest beerdigt worden war. Seine frische Trauer schmerzte sicher noch mehr als meine, die schon drei Wochen dauerte. Ich entschloss mich, ihn kurz zu besuchen. Er freute sich sehr, und ich erlebte, wie die schweren Tage uns mehr miteinander verbanden als die guten. Schon etwas getröstet durch das gemeinsame Leid, setzte ich meinen Weg zu einem anderen Haus fort. Hier lebte ein alter, gehbehinderter Witwer, der von seiner Tochter gepflegt worden war. Vor einigen Monaten war sie gestorben. Wie gut hatte ich es dagegen! Zu Hause warteten mein lieber Mann und mein kleines Kind auf mich. Auf dem Heimweg von dem leidgeprüften Mann hatte ich mich etwas gesammelt. Zwar würde ich noch weinen, aber der Schmerz übermannte mich nicht mehr. Ich fühlte mich in der Lage, das Auferlegte zu tragen.

Das Lob Gottes veränderte meine Sicht auf die Lage, egal, wie furchtbar sie auch sein mag.

Lobgesang in der Krise

Es gibt noch etwas, das mir in Lebenskrisen geholfen hat, wieder Freude zu finden. Und das ist das Lob Gottes! Aber kommt das nicht erst, wenn das Schlimme vorbei ist? Ich habe andere Erfahrungen gemacht. Einmal habe ich eine sehr schwere Situation erlebt, als ich von einem Menschen enttäuscht wurde. Obwohl es mir sehr schlecht ging, tat ich etwas, das mir bis heute unerklärlich ist. Ich nahm die Gitarre und sang das Lied „Danke für diesen guten Morgen“, bei dem es im letzten Vers heißt: „Danke, ach Herr, ich will dir danken, dass ich danken kann.“

Als ich mit dem Loblied zu Ende war, wusste ich, dass ich mit der Enttäuschung fertig werden würde. Etwas Entscheidendes hatte ich in diesem Augenblick gelernt: Das Lob Gottes verändert meine Sicht auf die Lage, egal, wie furchtbar sie auch sein mag. Ich ehre damit den Vater im Himmel und mache mir bewusst, dass er Herr der Lage ist und alle Macht hat.

Zum Schluss will ich fragen: „Was tut Gott in diesen für uns so harten Zeiten?“ Vor allem ist er dabei, mittendrin! Ob wir es spüren oder nicht, er wartet sehnsüchtig darauf, dass wir, als seine Kinder, uns ihm wieder zuwenden.

Im Neuen Testament lädt Jesus die Belasteten ein, bei ihm zur Ruhe zu kommen: „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ (Matthäus 11,28). Er gibt den Frieden, den die Welt nicht geben kann. Gerade an den Nullpunkten unseres Lebens steht er da mit offenen Armen.

Dieser Artikel erschien in Lydia 4/2023.

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