Mein Herz auf Empfang stellen

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Seit Jahrhunderten nutzen Christen geistliche Übungen, um ihr Glaubensleben zu bereichern. Viele Menschen haben darin einen Schatz entdeckt, der ihre Beziehung zu Gott vertieft und stärkt. Als geistliche Begleiterin und durch ihre Bücher hat Sharon Garlough Brown viele Frauen auf ihrem Weg mit Gott inspiriert und ermutigt. Im LYDIA-Interview erzählt sie, wie geistliche Übungen ihr eigenes Leben geformt und verändert haben – und wie man sie in den Alltag integrieren kann.

Viele Frauen sehnen sich danach, im Gebet mehr Tiefe und engere Gemeinschaft mit Gott zu erfahren. Inwiefern können uns geistliche Übungen dabei helfen?
Im Lukasevangelium findet sich im Bericht von der Verklärung ein wunderschönes Detail: Petrus, Johannes und Jakobus waren „beschwert vom Schlaf“ (Lukas 9,32). Aber als sie „völlig aufgewacht“ waren, sahen sie Christi Herrlichkeit. Das ist es, wobei geistliche Übungen uns helfen: vollkommen wach zu sein, sodass wir Gottes Herrlichkeit sehen und seine Gegenwart genießen können.
In unserer Kultur passiert es schnell, dass wir in unserem Leben sozusagen den Autopilot einschalten. Wir sind ständig in Eile, sehr beschäftigt und abgelenkt. Menschen und Dinge fordern unsere Zeit und Aufmerksamkeit. Obwohl wir uns vielleicht nach tieferer Gemeinschaft mit Gott sehnen, wissen wir oft nicht, wie wir sie erleben können. Geistliche Übungen helfen uns, Gottes Gegenwart mitten in unserem Alltag wahrzunehmen. Manche Menschen betrachten geistliche Übungen aus der Perspektive von Pflichterfüllung, Schuldgefühlen und Leistung. Ich sehe sie als Möglichkeiten, Ja zu sagen zu Gottes Einladung, mich auf seine Gnade einzulassen und seine Liebe zu erwidern. Ich finde Freude und Freiheit darin.

Haben Sie ein Beispiel, wie Sie selbst einmal eine persönliche Erfahrung mit einer bestimmten geistlichen Übung gemacht haben?
Als ich zum ersten Mal zu einer geistlichen Begleiterin gegangen bin, erwartete ich, dass sie mir irgendeine unangenehme Aufgabe geben würde – zum Beispiel Fasten. Stattdessen bat sie mich, ihr von meinem Leben mit Gott zu erzählen. Während sie mir zuhörte, betete sie innerlich. Sie stellte mir einige Fragen und sagte dann, sie habe den Eindruck, dass Gott mich einladen würde, das Feiern zu üben. Vermutlich sah ich etwas verwirrt aus, denn sie fuhr fort: „Du hast dich so gut um deine Beziehung zu Gott und deine Beziehungen zu anderen Menschen gekümmert. Du hast dir viel Mühe gegeben, die Dinge gut zu machen. Vielleicht lädt Gott dich ein, dich auszuruhen und zu feiern.“
Ich wusste nicht, wie das geht. Ich hatte Jahre damit zugebracht, mich über meine Produktivität und Nützlichkeit für das Reich Gottes zu definieren. Ich redete zwar von Gnade, aber es war nur ein Lippenbekenntnis. Tatsächlich war ich getrieben von der Angst und Sorge, ob ich „treu genug“ sei. Was ich brauchte, war eine radikale Umkehr hin zur Gnade, eine Befreiung von meinen perfektionistischen, arbeitssüchtigen Tendenzen. Für mich war es wichtig, das Ausruhen zu üben – in meiner Identität als Gottes geliebte Tochter. Ich bin dankbar, dass meine geistliche Begleiterin mir eine einfache Übung gab: Ich sollte mir eine Farbe aussuchen. Immer, wenn ich diese Farbe sah, sollte ich mich an Gottes Liebe zu mir erinnern und üben, diese Liebe voller Freude und Dankbarkeit zu feiern. Zwölf Jahre später denke ich immer noch an Gottes überströmende Liebe zu mir, wenn ich die Farbe Lila sehe.

Wie können wir geistliche Übungen in unseren vollen Alltag integrieren?
Ein einfacher Tipp ist, sich anzuschauen, was man sowieso täglich tut, und dann Gott zu bitten, uns in dieser Aufgabe zu begegnen. Wenn ich zum Beispiel das Mittagessen vorbereite, kann ich Gott für seine tägliche Versorgung danken. Wenn ich die Überschriften in den Nachrichten lese, kann ich im Gebet darauf achten, welche Geschichten meine Aufmerksamkeit wecken oder mich emotional berühren; dann kann ich mit Gott darüber sprechen und ihn bitten, dass er in diese Situationen hineinwirken möge. Wenn ich bei der Arbeit mit Kollegen spreche, kann ich Gott im Stillen um seinen Segen für sie bitten.
Es gibt auch Übungen, bei denen wir mitten in unserer täglichen Routine kurz innehalten und unsere Aufmerksamkeit auf Gott richten. Zum Beispiel mit dem Herzensgebet. Wenn wir uns überwältigt fühlen, können wir tief ein- und ausatmen und dabei im Herzen ein einfaches Gebet sprechen. Oder wir lernen einen Bibelvers auswendig, der uns daran erinnert, dass Gott sich danach sehnt, uns Christus ähnlich zu machen. Es kann sein, dass wir für eine Weile auf technische Geräte oder Soziale Medien verzichten, um präsenter zu sein für die Menschen um uns herum.
Eine meiner liebsten geistlichen Übungen ist der Tagesrückblick. Er hilft mir, mein Leben mit Gott zu reflektieren. Ich nehme mir dafür am Ende des Tages zehn bis fünfzehn Minuten Zeit und denke im Gebet über den vergangenen Tag nach. Ich halte Ausschau nach Momenten, in denen ich Gottes Gegenwart wahrgenommen und voller Hoffnung und Glauben Schritte auf ihn zugemacht habe. Und ich versuche, die Momente zu erkennen, in denen Gott verborgen schien oder in denen ich ihm aus Angst oder Trotz widerstanden habe. Dann werde ich still und danke Gott für die Art und Weise, wie er mir seine Gegenwart gezeigt hat. Ich bekenne meine Sünden und empfange seine Gnade. Ich bringe Gott meine Verletzungen und Enttäuschungen und meine Traurigkeit darüber. Dann bitte ich um die Gnade, am folgenden Tag aufmerksam zu leben. Die Übung des Tagesrückblicks hat mich gelehrt, mitten im täglichen Leben meine Aufmerksamkeit auf Gottes Gegenwart zu richten.

In Ihren Büchern kämpfen die Hauptcharaktere mit Verletzungen und Traumata und finden dann mit Hilfe von geistlichen Übungen einen Weg in die Freiheit. Passiert das auch im wahren Leben? Können Gebet und geistliche Übungen uns tatsächlich helfen, Heilung von Verletzungen zu erfahren, die uns unser ganzes Leben lang belastet haben?
Die Romanserie „Vier Frauen auf einer Glaubensreise“ wurde inspiriert von meiner Erfahrung mit einer echten Frauengruppe, die sich wöchentlich getroffen hat, um geistliche Übungen zu praktizieren. Während wir gemeinsam unterwegs waren, staunten wir über die Kraft des Heiligen Geistes, der uns heilte und veränderte. Im Laufe der Zeit wuchs unser Vertrauen zueinander und wir erzählten einander sehr ehrlich von den Verletzungen und Verlusten, die wir erlebt hatten. Wir erfuhren das Geschenk von gegenseitigem Trost und Erbarmen. Wir vertrauten einander auch genug, um über das zu sprechen, was wir bereuten, wofür wir uns schämten, wo wir schuldig geworden waren. Jakobus schreibt, wir sollen einander unsere Sünden bekennen, damit wir geheilt werden (Jakobus 5,16). Der Heilige Geist wirkt, wenn wir uns öffnen, ehrlich voreinander sind und in Gemeinschaft Gottes Gnade empfangen. Während wir übten, verletzlich zu leben – voreinander und vor Gott –, erfuhren die Frauen in unserer Gruppe tiefe Freiheit, Veränderung und Heilung von alten Wunden. Ich höre regelmäßig von Menschen, die tiefgehende Veränderung und Heilung erleben, während sie lernen, beständig mit Gott Gemeinschaft zu pflegen. Der Heilige Geist ist lebendig und wirkt!

Sie betonen, wie wichtig es ist, dass wir im alltäglichen Leben unsere Aufmerksamkeit auf Gottes Gegenwart richten. Wie offenbart Gott sich uns?
Wir haben immer Gottes ungeteilte Aufmerksamkeit. Aber Gott hat nicht immer unsere ungeteilte Aufmerksamkeit! Wenn wir üben, Gott unsere ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, entdecken wir viele Wege, wie Gott sich uns zeigt: durch sein Wort, die Bibel, das der Heilige Geist für uns lebendig macht; durch Gebet; durch Gemeinschaft; durch die Schöpfung; durch Erlebnisse, die andere mit Gott haben. Gott spricht immer. Die Frage ist: Hören wir zu?

Das Interview führte Delia Holtus. Es erschien in längerer Form in LYDIA 2/2019.

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