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Gefühle sind wie

Wellen

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Wellen können monströs sein. Groß, gewaltig und außer Kontrolle. Manchmal sieht man sie kommen. Ein Kommentar, eine E-Mail, ein Blick – man spürt, wie sie auf einen zurollen, und schon ist der Sturm perfekt.

So wie heute: Ich befinde mich mitten im Sturm. Kirsten und ich kennen uns schon einige Jahre und arbeiten gut zusammen. Doch seit ein paar Wochen ist irgendwie der Wurm drin und jetzt, eine E-Mail später, ist es, als wäre ein Sturm ausgebrochen. Gefühle von Angst, Selbstmitleid, Wut und Enttäuschung schwappen über mich. Wie Wellen. Sie machen mir Angst – wie sie so forsch auf mich zukommen, Anlauf nehmen und mich zum Wanken bringen. Wo kommen sie her? Bin ich ihnen restlos ausgeliefert oder kann ich sie beeinflussen?
Mir fällt die Geschichte in der Bibel ein, wo Jesus im Boot schläft, während um ihn herum ein gewaltiger Sturm tobt (Matthäus 8,23-27). Ich stelle mir vor, ich stehe an Deck dieses Schiffs: Krampfhaft halte ich mich am Segelmast fest und wappne mich für den nächsten Angriff meines neuen Feindes. Dabei gleitet mein Blick zur Seite. Jesus liegt da und schläft. Mitten im Sturm.
Nachdem unzählige Wellen bereits auf mich eingeschlagen haben, öffne ich die Augen, um die nächste Welle genau anzuschauen. „Wer bist du?“, frage ich sie, als sie sich aufbauschend vor mich stellt und ich immer kleiner werde. „Ich bin Menschenfurcht!“ Ich verenge meine kurzsichtigen Augen, um schärfer sehen zu können. Im Ernst? Menschenfurcht? Also sind diese Gefühle, die im Moment so schmerzen, diese Gedanken, die mir Angst machen, gar nicht in erster Linie die Sorge um meine Freundschaft mit Kirsten? Habe ich nur an mich gedacht und an das, was Leute negativ über mich denken könnten? Ich schäme mich, während die Welle schäumend ihren Rückzug ankündigt. Fix und fertig von dieser Erkenntnis bin ich trotzdem dankbar, dass ich den Mut hatte, der Welle ins Gesicht zu schauen.
Wieder gleitet mein Blick zu Jesus und ich erinnere mich, wie er mitten im Sturm seine Stimme erhob, seine Hand ausstreckte und den Wellen Stille gebot. Und wie sie wirklich still wurden. Als die nächste Welle ihren Einzug vorbereitet, schaue ich ihr direkt ins Auge und murmle in mich hinein: „Du machst mir keine Angst!“ Aber dann knallt sie mir mit solch einer Wucht mitten ins Gesicht, lässt mich komplett durchnässt und vor Kälte erstarrt zurück, dass ich es nicht mehr wage, die Augen zu öffnen. Warum sind Gefühle so gewaltig? So außer Kontrolle?
Jetzt reicht es mir. Jetzt, wo ich meinen Feind kenne, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich werfe einen letzten Blick auf Jesus, der immer noch daliegt und schläft und entdecke ein Lächeln auf seinen Lippen. Wie ein Baby, das etwas Schönes träumt. Ich strecke meine Hand über das gewaltige Nass, so wie Jesus es mir vorgemacht hat. Ich muss zugeben, dabei komme ich mir ein bisschen komisch vor. „Still ... still“, kommt es aus mir heraus. Immer und immer wieder. Ich höre mir selbst zu. „Still, still.“ Fast klingt es wie ein Lied. Wie eine heilende Melodie über den Wellen. Eine Melodie, die wie ein Echo tief in meinem Herzen vibriert und dort Tränen loslöst. Auch die Wellen scheinen mein Lied gehört zu haben. Sie werden weicher, ruhiger.
Wie eine leise Ahnung kommt der Gedanke in mir hoch, dass Jesus gar nicht wirklich schläft, dass er mir diesen Wellentest ganz bewusst selbst überlassen hat. Er weiß, dass ich bei zwischenmenschlichen Konflikten schon oft geflüchtet bin. Ich habe mich dem Sturm der Gefühle hilflos ausgeliefert gefühlt und bin geflohen.
Ich lasse mich am Mast hinuntergleiten und schließe die Augen, während die Sonne mein Gesicht trocknet.
Es ist gut zu fühlen. Unterschiedlichste Gefühle. Sie zeigen mir, dass ich am Leben bin.
Heute habe ich gelernt, genau hinzusehen und meinen Gefühlen einen Namen zu geben. Ihnen Frieden zuzusingen. Ich darf mutiger sein. Jesus ist bei mir. Er hat es mir vorgemacht. Dabei geht es nicht darum, negative Gefühle „wegzubeten“, sondern den Mut zu haben, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Noch am selben Abend habe ich Kirsten angerufen. Das hat mich Mut gekostet. Erstaunt bemerkte ich, dass ich im Gespräch nicht defensiv sein musste, sondern wirklich zuhören konnte. Zusammen konnten wir das Missverständnis ans Licht bringen und über unsere Enttäuschung sprechen. Auch bei ihr kamen die Wellen zur Ruhe. Was für ein befreiendes Gefühl!

Dieser Artikel erschien in LYDIA 1/2015.

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6 Antworten

  1. Der Artikel hat mich sehr berührt. Jesus ist so sehr besorgt um uns und möchte so gerne, dass wir ihn annehmen. Und ich lebe so oft so selbstverständlich dahin. Bedingungslose Liebe ist so wichtig.

  2. „Als Jesus zu mir kam, um mir die Füße zu waschen, da wurde mir ganz warm. Ich wollte gar nicht, dass er es nicht tut, ganz im Gegenteil. Ich spürte seine Liebe, ich spürte, dass er mir sagt: "Ich kenne Dich und trotzdem bist Du es wert, dass ich Dir die Füße wasche." Diese Wärme, die ich da empfinden konnte, diese Wohltat lässt sich mit keinem Wort beschreiben. Noch immer durchflutet es mich mit einem Wohlfühlkribbeln, wenn ich an die liebevolle Berührung von Jesus denke. Danke, Jesus.”

  3. „Gerade heute! Gerade heute brauchte ich das ... und gestern und vorgestern. Wie wertlos ich mich fühlte. So unerfüllt und zurückgestellt. Jesus, ich danke dir, dass ich es wert bin, dass du auch mir die Füße wäscht. Dass du mich kennst. Danke!”

  4. Das kenne ich auch, solche Situationen. Ich denke, jeder von uns kennt sie und jeder von uns kennt den Drang, wegzulaufen. Vor gut 3 Jahren war ich, als wieder mal so eine Situation war, auf einem Seminar auf der Bibelschule WDL und hatte das Glück, mit der dortigen Mentorin für Charakterentwicklung ins Gespräch zu kommen. Wir haben uns dann in eine Stille Ecke zurück gezogen und ein langes und intensives Gespräch gehabt. Auch hier ging es um einen Konflikt mit einer lieben Schwester.

    Am Ende des Gesprächs wurde mir ein Buch empfohlen, das auch die BibelSchüler im Laufe des Jahres lesen und als Grundlage nehmen, zu gucken, wo bei ihnen eigentlich das Problem liegt. Auch ich war überrascht, wo mein eigentliches Problem lag - wobei es bis zu dieser Erkenntnis ein langer schmerzlicher Weg war. Auch heute werde ich oft von diesen Gefühlen überrollt, aber ich ziehe mich dann kurz zurück und rede lange und intensiv mit Gott darüber und merke, wie ich dann ruhiger werde und es schaffe, die unguten Gefühle nach und nach abzulegen und wieder freundlich auf die Person zuzugehen, die diese Gefühle ausgelöst hat, und keinen Groll zu hegen. Jedesmal wird dieser Prozess etwas kürzer und ich bin sehr dankbar, dass Sarah mir damals geholfen hat, hinzusehen

    Das Buch heißt übrigens "Alles anders, aber wie?" Und es lohnt sich wirklich, sich damit auseinander zu setzen, denn egal, wie oft wir weglaufen und dann einfach den Kontakt mit den Menschen abbrechen, die diese Gefühle in uns auslösen - wir nehmen uns selbst und unsere Denk - und Verhaltensmuster ja mit

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