Kontakt & Service

Recht haben oder glücklich sein?

pexels-alex-green-5700177

Viele meinen ja, es komme nur darauf an, den „Richtigen“ oder die „Richtige“ zu heiraten, dann gelinge eine glückliche Ehe wie von selbst. Hollywood-Romanzen hören meistens an diesem Punkt auf: Die Richtigen haben sich gefunden und dann kommt das Happy End. Ist das wirklich so? Wenn dem so wäre, dann haben die meisten von uns den Falschen geheiratet.

Als junge Frau habe ich viele Ehe-Ratgeber gelesen und versucht, die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu verstehen. Ich befolgte psychologische Tipps und schleppte meinen Mann zu Vorträgen über die Ehe mit. Nach einer heftigen Krise gingen wir schließlich gemeinsam zur Eheberatung. Wir haben an unserer Beziehung gearbeitet. Wir beide wollten, dass es besser und richtig gut für uns und unsere Kinder werden sollte. Aber irgendwie hat es nicht funktioniert.

Die Tipps zur besseren Bewältigung unseres Familienalltags haben uns im Praktischen weitergebracht, jedoch war der Konflikt zwischen uns am Ende immer noch nicht gelöst: Ich war immer noch unglücklich, fühlte mich immer noch nicht genug geliebt und umworben, meine Bedürfnisse nach Romantik und Anerkennung waren immer noch nicht gestillt. Und mein Mann fühlte sich nach wie vor Forderungen und Vorwürfen ausgesetzt. Meine Erwartungs- und Anspruchshaltung blockierte ihn, was ich mir jedoch einfach nicht erklären konnte. Ich hatte doch recht! Ja, und das hatte ich wirklich! Auch noch aus heutiger Sicht, Jahre später.

Auf mein Recht verzichten

Am Abschlussabend der Eheberatung mussten wir frustriert feststellen, dass wir eigentlich wieder da waren, wo wir angefangen hatten. Noch am Vortag hatte ich einen Artikel in der „Lydia“ zur Ehe großzügig überblättert, hielt ich mich doch selbst mittlerweile für einen Ehe-Profi! Am Tag nach diesem verheerenden Abend nahm ich dann den genannten Artikel demütig zur Hand und las ihn aufmerksam durch. Ein Satz in diesem Artikel traf mich mitten ins Herz: „Will ich Recht haben oder will ich beim anderen ankommen?“ Wow! Es ging um den Verzicht auf mein Recht. Denn Liebe stellt keine Forderungen, keine Bedingungen. So nach dem Motto: „Ich liebe dich, wenn …“ Und: „Sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu“ (1. Korinther 13,5).

Aber ich hatte das Schlechte, das sich in unserer Ehe über die Jahre angesammelt hatte, sehr wohl „angerechnet“. Auch wenn ich das nicht wollte. Und so war ich bitter und vorwurfsvoll geworden. Besonders in den Dingen, die mein Mann nicht eingesehen hatte! Und jetzt sollte ich einfach auf mein Recht verzichten? Ich hatte geweint, gebetet, gekämpft, geschrieben, geredet, gelesen … Sollte das der Weg aus unserem Dilemma sein? War es nur eine Entscheidung meinerseits? Ich war ja die Unglückliche, die Fordernde, die „auf dem hohen Ross“, wie mein Mann es ausgedrückt hatte.

Endlich Frieden

Nachdem ich diesen Artikel gelesen hatte, traf ich auf dem Fußweg nach Hause eine Entscheidung. Ich weiß noch, an welchem Haus und in welcher Straße ich mich damals befand, an dem Wendepunkt unserer Beziehung: Ich gab meinen Mann sozusagen frei in meiner Entscheidung, ihm zu vergeben. Auch für das, was er noch nicht eingesehen hatte. Ich würde von ihm nichts mehr verlangen. Er musste gar nichts mehr! In diesem Moment kamen alle Wurzeln der Bitterkeit, die mein Herz und unsere Beziehung vergiftet hatten, aus meinem Herzen völlig schmerzfrei heraus und ich hatte Frieden. Wir hatten Frieden! Und das jahrelang, ja tatsächlich, bis heute! Denn ab diesem Zeitpunkt stellte ich unsere Ehe nicht mehr infrage. Ich erkannte meinen Mann als den mir zugedachten „richtigen“ Ehepartner und fing an, wieder Gutes an ihm zu entdecken. Diese veränderte Einstellung meinerseits brachte sofort Entspannung in unsere Beziehung. Kampf und Krampf waren weg!

Nach kurzem Abwarten (er wusste nicht, ob er dem Frieden trauen konnte) änderte mein Mann sein Verhalten. Er fing an, mir spontan zu sagen, dass er mich liebte. Wie sehr hatte ich mich bis dahin vergeblich danach gesehnt! Und er nannte mich wieder mit Kosenamen, es kamen sogar neue hinzu! Die Kinder profitierten von der veränderten Stimmung zu Hause, hatten sie doch sehr unter unseren Streitigkeiten und unter der Angst vor einer Trennung gelitten.

Wenn keiner mehr Angst hat, zu kurz zu kommen, dann kann die Ehe so werden, wie sie sein sollte: Man ergänzt sich in Harmonie, wie zwei Zahnräder, die in der richtigen Einstellung optimal ineinandergreifen. Und mit der richtigen Einstellung kommt dann auch die Überzeugung, mit dem „Richtigen“ verheiratet zu sein!

Dieser Artikel erschien in LYDIA 1/2019.

"Danke" an die Autorin

Der Beitrag hat Ihnen gefallen? Sagen Sie der Autorin „Danke!“ mit einem Kommentar.

Artikel teilen?

Was denken Sie?

Teilen Sie Ihre Gedanke mit uns und anderen Lesern! Wir freuen uns über Ihren Beitrag.

> Kommentieren

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Artikel

Wann weiß man, wer man ist?
Unsere Identität ist ein wichtiger Bestandteil unseres Seins. Besonders Kinder und Jugendliche erleben die Identitätsfindung als eine spannende und manchmal auch herausfordernde Reise. Wie können wir ihnen gute Begleiter auf diesem Weg sein?
> weiterlesen
Die Brotkünstlerin
Die Brote, die Judith Lehnhardt herstellt, sehen aus wie Kunstwerke. Angefangen hat alles, als es in der Coronazeit keine Hefe gab und sie lernte, für ihre Familie Sauerteigbrot zu backen. Die Großfamilie ist wichtig für Judith, denn ohne die Unterstützung ihrer Eltern wäre ihr Leben wohl schwieriger verlaufen.
> weiterlesen