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Meine alten Eltern

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Eigentlich ist es vorhersehbar: Jedes Kind weiß, dass Eltern irgendwann alt werden. Aber wenn es geschieht, ist es trotzdem ein Ausnahmezustand! Der Rollentausch verwirrt. So lange haben die Eltern sich um die Kinder gekümmert. Jetzt brauchen sie Hilfe. Was erwarten meine Eltern von mir? Wie gehe ich mit ernsten Fragen und inneren Hürden um, mit Schwächen und Vergesslichkeit? Was, wenn meine Eltern pflegebedürftig werden?

Als ich 29 war, fiel mir bei meinen Besuchen zu Hause auf, wie klapprig meine Eltern geworden waren. Sie bewirtschafteten zwar noch immer mit einem meiner Brüder und einer meiner Schwestern zusammen unsere Tankstelle und die Werkstatt, aber es fiel ihnen sichtlich schwer. Und irgendwann sah ich meine Mutter an, wie sie müde an der Kasse saß, und dachte: Du bist ganz schön alt geworden, Mama! Sie war auch so vergesslich und dünn und klagte, dass ihr die Hände wehtaten. Mein Vater, der sein Leben lang an Asthma und offenen Beinen litt, hatte zwar keine Gedächtnisprobleme, aber schien immer eigensinniger zu werden.

Schwere Gespräche

Wir Geschwister beschlossen, dass die Sache mit dem Betrieb anders geregelt werden müsse und dass wir sowieso mal übers Alter reden müssten. Was erwarteten unsere Eltern an Hilfe, was waren ihre Wünsche in Bezug auf ihr künftiges Leben? Was erwarteten sie von uns, ihren Kindern? Falls sie irgendwann einmal pflegebedürftig werden sollten: Was wollten sie dann und was nicht?
Solche Gespräche sind schwer. Wie sage ich meinen Eltern, dass ich befürchte, sie würden vielleicht irgendwann nicht mehr allein zurechtkommen? Wie rede ich mit ihnen über den Tod? Egal, wie alt wir schon sind, es ist nicht einfach, die inneren Hürden zu überwinden, um diese Themen anzusprechen. „Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Sie hört einfach nicht auf mich“, sagte meine Schwester ganz verzweifelt zu mir. Der Grund war nicht etwa ihre kleine Tochter, sondern unsere Mutter, die sich trotz Krebsdiagnose nicht behandeln lassen wollte. Aber auch meine Eltern kamen sich komisch vor. „Das ist doch mein Leben!“, sagte meine Mutter. „Ich muss leben, ich muss sterben – da kann ich mich doch nicht davon abhängig machen, was ihr für richtig haltet! Ich muss doch meine eigenen Entscheidungen treffen!“

Eltern ehren

Die Sorge um die Eltern ist zutiefst biblisch. Es gehört zu den Zehn Geboten, „Vater und Mutter zu ehren, damit wir lange leben auf Erden“. Im damaligen Israel, in dem es keine Pflegekasse und keine Sozialhilfe gab, war die Versorgung der Eltern eine wichtige Form, dieses „Ehren“ zum Ausdruck zu bringen.
Wie können wir heute unsere Eltern ehren, wenn sie alt werden? Zwischen Eltern und Kindern bestehen lang eingeübte Rollenmuster, die nur schwer abzulegen sind. Rollenmuster sind gewohnte Verhaltens- und Gefühlsmuster, die oft sehr tief verwurzelt sind. Das führt dazu, dass die banalsten und scheinbar unwichtigsten Bemerkungen zu emotionalen Verletzungen und Streitigkeiten führen können. Wenn die Eltern plötzlich Hilfe brauchen, werden bei den Kindern oft Erinnerungen an die eigene Erziehung wieder lebendig. Das kann positive, aber auch sehr problematische Auswirkungen haben. Ich denke, wir können unsere Eltern vor allem dann ehren, wenn wir uns um eine Beziehung auf Augenhöhe bemühen. Was bedeutet das?
Jeder kommt zu Wort. Es ist wichtig, dass beide Seiten – Eltern und Kinder – ihre Bedürfnisse und Wünsche äußern können. Haben Sie Mut, Konflikte früh anzusprechen und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Das ist oft schmerzlich, aber es ist wirklich notwendig.
Werden Sie sich klar darüber, was Sie leisten können und wollen, und was nicht. Bleiben Sie dabei realistisch. Fragen Sie Gott, was er von Ihnen möchte. Worüber haben Sie Frieden? Teilen Sie das Ergebnis Ihren Angehörigen mit. Formulieren Sie klar, welche Hilfe Sie anbieten können und wo Ihre Grenzen liegen. Lassen Sie Ihren Angehörigen dann die Wahl, was sie davon annehmen möchten.
Treffen Sie keine Entscheidungen über den Kopf der Betroffenen hinweg. Jeder Mensch hat das Recht, selbst eine Entscheidung zu treffen, solange er geistig dazu in der Lage ist. Ein Beispiel:
Als meine Mutter starb, blieb mein Vater allein in einem großen Haus zurück. Neben anderen Erkrankungen litt er unter Asthma, das nachts oft bedrohlich wurde. Eine meiner Schwestern bot ihm an, zu ihr und ihrer Familie zu ziehen. Ich bot ihm an, in meine Nähe zu ziehen. Aber unser Vater wollte nicht. Er wollte in seinem Zuhause bleiben. „Hier bin ich der Herr, bei euch wäre ich ein Besuch!“, sagte er. Und obwohl wir alle protestierten, hatte er irgendwie recht.
Aber dann mussten wir alle auch ganz offen darüber reden, wer welche Unterstützung bieten könnte und was außerhalb der Familie organisiert werden musste. Ich konnte einmal im Monat kommen, aber nicht jedes Wochenende, wie mein Vater es gern gehabt hätte. Meine Schwester war tagsüber sowieso im Büro der Firma, also auf dem Gelände, wollte danach aber zu ihrer Familie. 
Meine Brüder waren bereit, Arbeiten am Haus zu übernehmen. Wir engagierten eine Frau, die putzte und kochte. Aber in den Nächten war mein Vater allein. Als meine Schwester sich deswegen sorgte, sagte mein ältester Bruder: „Vater hat das so entschieden. Er hat ein Recht, seine eigene Wahl zu treffen, wir können ihn nicht bevormunden.“ Und er hatte recht!
Aber als mein Vater der Frau mit der Begründung kündigen wollte, „das bisschen Arbeit“ könnte doch von seinen Kindern mitgemacht werden, mussten wir ihm sagen, dass das nicht möglich sei.
Bedenken Sie, dass diese Klärungsprozesse für alle schwierig sind. Doch je mehr man um den heißen Brei herumredet, umso mehr Missverständnisse kommen auf. Also sagen Sie nicht „vielleicht“, wenn Sie „nein“ meinen.
Achten Sie darauf, aktuelle und vergangene Konflikte nicht zu vermischen. „Meine Mutter war sehr streng zu mir und hat mich oft ungerecht bestraft“, vertraute mir eine Frau an. „Jetzt, wo sie meine Hilfe braucht, fällt es mir schwer, ihr das nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen.“ Wenn Sie sich um einen Menschen kümmern wollen, sollten alte Rechnungen geklärt sein. Müssen Sie ein altes Thema noch einmal ansprechen? Gibt es etwas, das Sie bisher noch nicht vergeben haben? Kümmern Sie sich um alte Wunden, sonst kann das schlimme Folgen haben.
Holen Sie sich, wenn nötig, professionelle Hilfe. In den meisten Städten gibt es Seniorenbeauftragte, die Sie über die Stadtverwaltung erreichen.

Vielleicht kostet es Sie Überwindung, manche Themen anzusprechen und bestimmte Veränderungen in die Wege zu leiten. Aber mit Gottes Hilfe können Sie gute Entscheidungen treffen und den letzten Abschnitt des gemeinsamen Weges in einer Weise gestalten, die von Achtung und Liebe geprägt ist.

Karin Ackermann-Stoletzky ist ausgebildete Seelsorgerin, Beraterin und Autorin. www.coachenlernen.de. Dieser Artikel erschien in LYDIA 2/2009.

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2 Antworten

  1. Danke für den Artikel
    Vor einigen Jahren haben wir unsere Gewohnheiten umgestellt,
    damit unsere Kinder im Kreis von Freunden und Verwandten es einfacher haben, negative Erlebnisse nochmal anzusprechen.

    Budenzauber
    am Samstag Nachmittag, habe wir diesen Rahmen genannt.

    Wenn man ungezwungen zusammen sitzt und jeder kommen und gehen kann, mit köstlichem Mahl, Gesellschaft s Spiele und viel Spaß, dann tut es nicht so weh, wenn eine Verletzung beim Namen genannt werden muss.

    Der Bibelvers : als sie nun gefrühstückt hatten (Johannes evg. 21, 15), gab uns den Anstoß dazu. Plus Musikvideo: DJ Ötzi und Nick P. ... Geboren, um dich zu lieben

    Gewohnheiten umzustellen, ist nicht einfach, doch wer sich treu bleibt, erlebt den Frieden Gottes. Für viele Fehler konnten wir uns so schon entschuldigen und hatten dabei noch viel Spaß. Ja, unsere Kinder haben den Schmerz, auf liebevolle Weise zum Ausdruck gebracht.

    Schon als Kind beobachtete ich unbewusst viele Verhaltensregeln, die ich irgendwie nicht gut fand. In der Großfamilie meines Mannes, lebte man nochmal ganz anders zusammen. Nach ihrem Tod, kam endlich die Zeit unsere eigenen Vorstellungen zu leben. Dazu gehörte viel Nein sagen dazu... die gesunde Gemeinschaft mit unseren Kindern, ist wie ein Fest nach langer Trauer.

    Gott legt einen großen Wert auf vernünftige Pflege der Eltern. Wir möchten unseren Teil dazubeitragen. Die Bibel ist voller Hinweise dazu. In diesem Zusammenhang danke, für die Ausführungen.

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