In ihrer Kindheit in der DDR hatte Aline Schreiber keine Berührungspunkte mit dem christlichen Glauben. Niemand sprach je von Gott. Ihre Sehnsucht nach Sinn, die sie in sich spürte, versuchte sie im Buddhismus, bei Yoga-Seminaren und Selbstfindungskursen zu erfüllen. Doch den Sinn ihres Lebens fand sie erst viele Jahre später, als sie begann, Fragen zu stellen und die Antworten in der Bibel zu suchen.
Aline, Sie haben sich vor einem Jahr als Erwachsene taufen lassen. Wie kam es dazu?
Im Rückblick würde ich sagen, dass ich durch den Heiligen Geist dahin geleitet wurde. Vorher war ich etwa zehn Jahre lang auf einer spirituellen Reise. Aber ich konnte nie genau sagen, was das für ein Glaube ist. Ich habe viel gelesen über den Buddhismus, das war ja im Trend …
Das Christentum war mir nicht präsent, weil in meiner Familie niemand gläubig war. Ich bin in Chemnitz in der DDR geboren und mit meinen Eltern nach der Wende nach Hannover gezogen. Meine Eltern waren der Kirche gegenüber ein bisschen skeptisch eingestellt.
Ich habe nach Stille gesucht. Momentan kann man ja überall Schweigeseminare buchen. Sie kosten teilweise tausend Euro die Woche. Ich habe mir gedacht: Warum soll ich nicht in die Kirche gehen und schweigen? Da kann ich jeden Tag hingehen, und sogar umsonst.
Wie war es, als Sie dann in eine Kirche gegangen sind?
Ich habe vor der katholischen Kirche an meinem Wohnort gestanden und mich gefragt, was die Menschen da drin machen. Ich bin dann in einen Gottesdienst gegangen. Das war erst mal schwierig, weil ich niemanden kannte und mein Mann auch nicht mitgehen wollte.
Und dann habe ich – ganz Betriebswirtin – überlegt, dass die bei den Yoga-Seminaren ein gutes Marketing machen. Du gehst da eine Woche lang hin, kriegst nur Wasser und dafür nehmen sie tausend Euro! Und das alles machen sie im Namen einer höheren Macht.
Sprechen Sie aus Erfahrung?
Ja. Ich war in einem Yogastudio, und dort wollten sie mir immer etwas verkaufen. Erst die Kristalle, dann die Aromatherapie und Ayurveda und danach das Schweigeseminar … Ich habe gemerkt: Das hat alles nichts mit dem Glauben zu tun. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich schon immer nach Gott gesucht habe, aber einfach nie den Zugang hatte und keine Berührungspunkte.
Wie ist es Ihnen in der Kirche ergangen?
Erst mal war für mich alles neu. Was mich beeindruckt hat, war, welche Hingabe diese Menschen haben, wie sie sich vor Gott verbeugen und die Gemeinschaft feiern. Das war etwas ganz Neues für mich. Ich hatte bis dahin eine Welt erlebt, die sich fast nur um Konsum dreht. Immer zahlen, zahlen, zahlen.
In der Kirche geht es nicht darum, was jemand bezahlt oder was er hat oder was er macht. Der Pfarrer hat gesehen, dass ich neu war. Vorher war ich gelegentlich in anderen Gottesdiensten gewesen. Wenn ich eine Kirche gesehen habe, bin ich dort hingegangen. Aber nie ist jemand nach dem Gottesdienst auf mich zugegangen und hat gefragt: „Bist du neu? Hast du Fragen?“ Dieses Mal war das anders, der Pastor fragte mich und wir kamen ins Gespräch. Ich hatte ganz viele Fragen. Ich hatte meinen Vater an Krebs verloren, als ich zwanzig war. Damals habe ich gemerkt, dass das, was ich in der Schule gelernt hatte, nicht das ist, was ich eigentlich im Leben lernen sollte. Ich hatte viele tiefgreifende Fragen, beispielsweise was nach dem Tod passiert, ob man einfach nur auf die Welt kommt und dann stirbt, und das war’s.
Das sind keine einfachen Fragen …
In unserer Gesellschaft wird vieles weggelächelt. Wenn wir traurig sind, sollen wir es niemandem zeigen, sondern weitermachen und immer lächeln. Ich hatte das Gefühl, dass es in der Kirche erlaubt ist, wenn man trauert. Das konnte ich dem Pfarrer erzählen. Ich bin jetzt 34, und mein Vater ist vor 14 Jahren gestorben. Ich versuche, alles zu machen, meinen Job, meinen Alltag, aber da ist diese unfassbare Trauer in mir. Als ich das im Gespräch mit ihm ausgesprochen hatte, ging es mir viel besser. Und er hat nicht gesagt: „Das kostet 20 Euro pro Stunde, wenn du jetzt mit mir redest!“
Ich habe keine christlichen Freunde und kannte niemanden in meinem Alter, der in den Gottesdienst geht. Im Rückblick merke ich, dass Gott mich überall hingelenkt hat. Aber dieser Punkt zu sagen: „Ich glaube an einen Gott. Ich glaube nicht an Gurus oder Gottheiten oder verschiedene Götter, sondern an einen Schöpfer, der alles gemacht hat.“ Diese Erkenntnis hat mich zutiefst befreit! Dann habe ich Jesus kennengelernt. Der erste Gottesdienst, den ich besucht habe, war Karfreitag. Das war schlimm! Blut, Kreuz, Leiden. Weil ich mit dem Glauben nicht großgeworden bin, kannte ich die Feiertage nicht. Wir haben an Ostern Eier gesucht. Jetzt wollte ich den Tod von Jesus verstehen, und auch das Wunder von Ostern.
Wie haben Sie Antworten gefunden?
Ich habe selbst in der Bibel nachgelesen und mir gesagt: „Ich will Karfreitag verstehen. Ich will Ostern verstehen. Ich will die Auferstehung verstehen.“ Und danach: „Ich will Pfingsten verstehen und die Trinität verstehen. Wer ist Gott, wer ist Jesus, wer ist der Heilige Geist?“ Es ist nicht alles selbstverständlich, es präsentiert sich nicht so offenbar.
Wie haben Sie dann Ihre Taufe erlebt?
Für mich war das so aufregend wie meine Hochzeit. Ich wusste, jetzt gehe ich den Weg mit Gott, und das bedeutet wahrscheinlich auch oft, dass Gott anderer Meinung ist als ich und ich aber Gott folge.
Das ist eine fundamentale Entscheidung für mein Leben, die nach außen sichtbar wird. Es fühlt sich so an, als wenn ich ein großes Stück Verantwortung für mich und meine Sünden übernehme. Es ist ein Prozess, der in mir passiert ist, als ich mich habe taufen lassen.
Ich hätte eigentlich eine Party machen und vor Freude schreien sollen: „Ich bin getauft, ich bin getauft!“ Weil das so ein großes Wunder ist, dass Gott jemanden zu sich zieht wie mich, die überhaupt keine Berührungspunkte mit der Kirche hatte.
Aber es wird nicht bejubelt, wenn man sich taufen lässt. Und es wird wenig darüber gesprochen. Wenn wir heiraten, zeigen wir überall die Fotos herum. Als ich mich taufen ließ, habe ich nicht mal eine Taufkarte für Erwachsene gefunden, nur für Babys. Da habe ich gemerkt: Wir feiern das nicht richtig. Wir feiern, dass wir jemanden heiraten, aber wir sollten noch mehr feiern, wenn wir eine Entscheidung für Gott treffen, also dann zu Gottes Familie gehören!
Sie haben viele neue Entdeckungen gemacht …
Vorher hatte mir niemand erzählt, wie cool Beten ist. Ich glaube, wenn mehr Leute mehr beten würden, gäbe es weniger Depressionen, weniger Krieg … Und Beten ist so einfach! Aber auch das Beten ist marketingtechnisch nicht gut aufgestellt! Das Gebet bräuchte ein gutes Marketingkonzept, es wird nicht genug unter die Leute gebracht. Ich habe mal einen Pfarrer gehört, der sagte, beten sei wie atmen, das gehöre zum Christsein dazu. Das fand ich schön.
Das Interview führte Ellen Nieswiodek-Martin. Foto: Christiane Baumgart
Der Text ist eine gekürzte Fassung aus Lydia 2/2022.
3 Antworten
Ein schöner Vergleich - so ein Taufversprechen hält ja bestenfalls auch das ganze Leben lang.
... und an Gott wird es nicht scheitern.
Wie schön, so eine offene, ehrliche Geschichte zu lesen. Gott öffnet Türen und feiert die Taufe!