Montag, 10.02.2025

Zum aus der Haut fahren

Während ich diese Worte verfasse, läuft im Radio gerade ein Song mit dem Titel „Big girls don’t cry“. „Große Mädchen [oder Jungen] weinen nicht“, sagt man uns ab einem bestimmten Zeitpunkt in unserem Leben. Zumindest, als ich noch jünger war.

Doch das bedeutet noch lange nicht, dass wir keinen Grund (mehr) haben zu weinen oder wütend zu werden. Aber wenn man uns lange genug signalisiert, dass es nicht erwünscht ist, offen und ehrlich auszusprechen, wie es in uns aussieht, verlernen wir es unter Umständen ganz. Und vielleicht staut sich dann auch einmal die Wut in uns auf und bricht irgendwann aus uns hervor, sodass unsere Mitmenschen gar nicht wissen, wie ihnen geschieht.

Ehrlichkeit wäre schön

Ich frage mich: Warum gelingt es uns viel zu oft nicht, echt zu sein? Wäre es nicht schön, wenn unser Innenleben und unser Außenleben übereinstimmen und wir uns nicht verbiegen müssten, um „so zu tun, als ob …“?

Eine Beziehung zerbricht und der Schmerz ist groß. Eine Freundin erzählt ein Geheimnis weiter, das wir ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut haben. Der Chef lädt immer neue Projekte auf unserem eh schon übervollen Schreibtisch ab. Und vielleicht fragen wir uns auch manchmal, ob Gott uns überhaupt sieht und sich für uns interessiert, wenn uns die Probleme über den Kopf wachsen.

Viel zu oft erwische ich mich in solchen Situationen dabei, dass ich „nur keine Welle“ machen will … den Anschein erwecken will, dass alles in Ordnung ist und ich alles im Griff habe … ich niemandem zur Last fallen will, weil ja die anderen auch ihre Lasten zu tragen haben …

Gott liebt es, wenn wir ehrlich sind

Dann muss ich mir immer wieder bewusst machen, dass Gott keine Ja-Sager braucht, keine Menschen, die verheimlichen, wie es in ihnen aussieht, sondern dass wir uns ihm mit allen Ecken und Kanten zeigen dürfen. Das kann ich an den sogenannten „Klagepsalmen“ sehen (z. B. die Psalmen 13, 77 und 88). Da wird nicht dezent gejammert oder rational diskutiert, sondern laut zum Himmel geschrien – total unsachlich und unbeherrscht. Und offenbar macht Gott das gar nichts aus, sondern er findet es gut, wenn ich ehrlich sage, was ich denke und fühle. Und er kann es auch verkraften, wenn ich ihn mal anschreie.

Herr, wie lange willst du mich noch vergessen? Wie lange willst du dich noch von mir abwenden? Wie lange soll meine Seele noch sorgen und mein Herz täglich aufs Neue trauern? Wie lange wird mein Feind noch die Oberhand behalten? Wende dich mir zu und erhöre mich, Herr, mein Gott! Mach es wieder hell vor meinen Augen, damit ich nicht sterbe. Psalm 13,2-4

"Danke" an die Autorin

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7 Antworten

  1. Liebe Nicole
    Deine Zeilen sind so wertvoll und (zu)treffend.
    Ich erlebe gerade eine Zeit des "Aus der Haut fahren" und des "Schreien zu Gott".
    Wie tröstlich und hilfreich, zu wissen:
    Er hält meinen/unseren Schmerz aus.
    Nur ist meine Erfahrung, dass wir Menschen oft überfordert sind, mit dem Schmerz und der Trauer eines anderen Menschen umzugehen. Deshalb liegt es auf der Hand, dass es oft einfacher ist, etwas vorzuspielen, anstatt ehrlich zu sein.
    Dein Text ermutigt mich, Authentisch zu sein.
    Danke!
    Jrene

  2. Das spricht mir so sehr aus dem Herzen.Warum sollen wir eigentlich nicht denken und sagen was wir fühlen ? Vieles was unausgesprochen bleibt zehrt an unserer Seele und macht traurig.Oft findet man auch nicht die richtigen Worte gerade für unsere Mitmenschen.Es ist nicht immer passend mit der Tür ins Haus zu fallen aber es gibt immer eine Gelegenheit uns zu äußern.Wie oft schon dachte ich Gott hat mich vergessen aber dann passiert doch was Gutes und die Dankbarkeit ist groß.

  3. Du sprichst mir aus dem Herzen.
    Der Psalm 13 trifft genau auf mich zu.So fülle ich mich auch .
    Bin dankbar das Gott mein Schreien nichts ausmacht, er weis was sich dahinter verbirgt.

  4. Liebe Nicole
    Ich kann das gerade so nachempfinden, kenne das nur zu gut. Ich hab immer zurück gesteckt und geschluckt. Doch dann kam eine Zeit, da brach es aus mir heraus. All die Wut und all die Traurigkeit und all meine Sehnsucht. Von da an hat sich viel verändert. Ich bin wie ich bin und wer das nicht möchte, der muss gehen.
    Ich hatte gerade am Wochenende eine solche Situation. In Trauer unterwegs, und dann soll dies noch und das noch. Und es soll niemand merken, wie schlecht es mir gerade geht. Hinzu kommt das Gefühl, dass es gerade niemanden interessiert.
    Und dann sitze ich da, schreie zu Gott, dass es nichts mehr geht, dass ich gar nicht mehr leben möchte. Und mir kommt der Psalm 31,6 in den Sinn: Gott, in deine Hände lege ich mein Leben. Und ich höre das Lied “Halte mein Herz” von Bastian Benoa und spüre, wie ich innerlich ruhiger werde.
    Ich bin voll bei dir.

  5. Danke für das Ansprechen dieses Themas. In mir hat sich auch so viel Wut angestaut wegen der vielen Lügen die ich täglich zu hören bekomme.
    Danke für s Mut machen.

  6. Psalm 13,2-4 könnten heute auch meine Worte sein.
    Ich bin in einem Altenheim, wo es niemand interessiert, wie es einem geht. Gerade in den letzten Tagen wurde ich 2 mal dermaßen angefaucht von Leuten, die eigentlich für einen da sein sollten, richtig unverschämt. Bin ich der Fußabtreter für jemand, der gerade schlechte Laune hat?
    Muß ich mir das gefallen lassen, wenn ich alt und schwer krank bin? Ich hab nichts verbrochen, was zu so einem Verhalten Anlass gegeben hätte.

    Nur gut, daß Gott es weiß, was hier los ist. Daß er weiß, wie es mir geht, wie ich mich fühle.
    Daß ich mit ihm reden kann, daß er mir zuhört. Daß ich trotz allem in seiner Hand bin.

    E.

  7. Tanja hat sehr schön geschrieben............
    So fühle ich auch.
    Wann wird es wieder hell. Wann gibt es Recht vor Unrecht. Das nicht die Lauten dieser Welt immer Beachtung finden und die gard keine Kraft mehr haben so links liegen gelassen werden. Gott erbarm dich meiner. Und trotz allem was geschieht sag ich immer der Mensch denkt und Gott lenkt, sowie man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.......

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