Als ich die Bankfiliale verlasse und ins Auto steigen will, erblicke ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Bekannte, die ich seit Längerem nicht mehr gesehen habe. Ich kenne sie seit meiner Kindheit, denn wir wohnten früher im selben Ort. Später haben wir uns mehr oder weniger aus den Augen verloren, uns jedoch gelegentlich beim Einkaufen getroffen und dann kurz unterhalten. Einmal hatten wir in der Weihnachtszeit ein intensives Gespräch darüber, wie sich die Liebe Jesu in unserem Alltag bemerkbar macht. Aber nun bin ich gerade in Eile und habe eigentlich keine Zeit für Gespräche. Aufgrund eines inneren Drängens entscheide ich mich dennoch, zu ihr hinüberzugehen, um Hallo zu sagen.
Unter Tränen erzählt sie mir, dass sie mit ihren neunzig Jahren nun beinahe vollständig erblindet ist. Mit dem einen Auge sehe sie gar nichts mehr, mit dem anderen könne sie nur noch wie durch eine dicke Nebelwand schwache Konturen wahrnehmen. Da ihre Einkaufshilfe aus dem Seniorenheim zurzeit im Urlaub sei, habe sie sich – trotz vieler Bedenken – allein auf den Weg gemacht, da sie Verschiedenes dringend brauche. Ich biete ihr an, sie beim Einkaufen zu begleiten und ihr beim Überqueren der vielbefahrenen Straße zu helfen. Meine eigenen Pläne treten dabei vollkommen zurück.
Nach dem Einkauf begleite ich sie noch in ihre kleine Wohnung im Seniorenheim, um ihr in großen, dicken Ziffern meine Telefonnummer aufzuschreiben. Obwohl sie mir beteuert, ausreichend versorgt zu sein, spüre ich die Hilflosigkeit, mit der sie ihrer Nebelwand gegenübersteht, und empfinde es als das Mindeste, ihr meine weitere Hilfe anzubieten. Ich versichere ihr, dass ich jederzeit vorbeikommen werde, wenn sie mich braucht, und nehme sie zum Abschied in den Arm. „Dich hat mir heute der Himmel geschickt“, sagt sie leise, und auch ich empfinde das so. Uns beiden ist klar, dass Gott uns exakt im richtigen Augenblick zusammengeführt hat, damit sie genau die Hilfe bekommen konnte, die sie in diesem Moment so dringend brauchte.
Nachdem ich mich von ihr verabschiedet habe, fange ich an zu beten, dass Gott ihr täglich Menschen schickt, die ihr helfen, ihren schwierigen Alltag zu meistern. Und dass er es verhindern möge, dass sie völlig erblindet. Ich bin tief berührt und dankbar, dass ich erleben durfte, wie direkt Gott in unsere Lebensumstände eingreift und uns die Hilfe zukommen lässt, die wir brauchen.
Seit Kindertagen durfte ich immer wieder die Erfahrung machen, wie treu Gott durch Nebelwände hindurchhilft und uns in Zeiten, in denen wir vor Kummer und Sorgen nicht mehr klar sehen können, eine (Seh-) Hilfe, eine Stärkung, einen Wegbegleiter schickt. Wie er uns durch andere Menschen zum Weitergehen ermutigt und uns unter die Arme greift. Wir können ihm nicht genug dafür danken!
„Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“ (Psalm 121,2).
4 Antworten
Ja, ich wünsche mir täglich so nahe an Gottes Mund zu sein um zu hören wie es weiter geht im Alltag. Gott segne sie.
Passgenaue Hilfen wie Sonnenstrahlen durch eine Nebelwand habe ich heute auch erlebt! Gott ist gut und sieht durch jeden Nebel hindurch, ihm ist kein Dickicht zu dicht und kein Unvermögen eine Grenze. Danke für die Ermutigung auf die leise Stimme in uns zu achten. So ein Segen unvorstellbar genial! Maey
Liebe Birgit.
Deine Geschichte könnte auch meine sein. Wie oft durfte auch ich erleben wie Gott ganz praktisch in meinen Alltag hinein spricht. Meine Arbeit in einem ALterszentrum ist geprägt von vielen solchen Momenten und ich bin überaus dankbar mit welcher Liebe uns die Bewohner ihre Wertschätzung darüber entgegenbringen. Mein Auftrag ist es das Vaterherz Gottes zu den Menschen bringen zu dürfen. Das erfüllt mich mit Freude und Zufriedenheit. Von Herzen weiterhin diese zufälligen Momente. Gottes reichen Segen. Elisabeth
Vielen Dank für diese schöne Begebenheit und vor allem zu erkennen, dass Gottes liebe Hand im Spiel war. Oft sehen wir alles ohne zu Bedenken, dass unser himmlischer Vater Seine Augen über alle hält und bis ins Detail. Herzliche Grüsse aus Chile.