Im Winter kaufte ich einen wunderschönen Weißkohl. Ich schnitt ihn zur Hälfte durch und bereitete aus dem einen Teil ein leckeres Eintopfgericht. Die andere Hälfte wickelte ich in Alufolie und legte sie in den Kühlschrank, um daraus einige Tage später noch etwas zu kochen.
Die Zeit verging, das Frühjahr kam und mit ihm das frische Gemüse.
Jedes Mal, wenn ich den Kühlschrank öffnete, sah mich dieser verpackte Weißkohl vorwurfsvoll an. Ich packte ihn kurzerhand unten ins Gemüsefach. So hatte ich erst mal meine Ruhe und musste nicht immer ein schlechtes Gewissen haben. Dachte ich wenigstens.
Wieder verging eine ganze Weile, in der ich den Kohl gänzlich aus den Augen verlor, zumal der Kühlschrank wenig gebraucht wurde und in der hinteren Vorratskammer stand.
Viele Wochen waren vergangen, als ich etwas in dieses untere Gemüsefach legen wollte. Ich zog an der Schublade, die sich aus unbekannten Gründen nicht öffnen lassen wollte. Mit Geduld und etwas Kraftaufwand gelang es mir schließlich doch.
Zu meinem großen Erstaunen war aus der angeschnittenen Weißkohlhälfte ein dicker Spross gewachsen, der die Alufolie durchstoßen hatte. Und nicht nur das: Nachdem er von unten gegen die Glasplatte des Gemüsefachs gestoßen war, änderte er seine Wuchsrichtung zur Öffnung der Schublade hin. Dabei war sein dicker Spross, der nun im rechten Winkel weiterwuchs, fast durchgebrochen. Es war einfach unglaublich.
Wie konnte der Spross „wissen“, wo sich der Ausgang aus der Schublade befand? Meist herrschte doch im Kühlschrank absolute Dunkelheit. Und wenn ab und zu Licht hereingefallen war, handelte es sich nur um kurze Augenblicke.
Und wieso konnte aus einer übriggebliebenen Hälfte überhaupt noch etwas wachsen?
Nun hob ich die Weißkohlhälfte heraus und befreite sie aus ihrer dunklen Gefangenschaft. Ich staunte über das Wunder und stellte die immer noch in Alufolie eingewickelte Hälfte auf meine gekachelte Küchenfensterbank. Von Zeit zu Zeit begoss ich sie durch das von dem Spross selbst geöffnete Loch.
Der Spross wuchs weiter und gedieh ganz prächtig. Er war für mich eine ständige Quelle der Freude und des Staunens.
Ist unser Leben oder das, was uns zustößt, nicht auch manchmal etwas, das in uns etwas zerbrechen will? Irgendeine Krankheit, irgendein Erlebnis, ein Empfinden, wo wir uns eingesperrt und abgesondert fühlen? Wo wir isoliert sind von der Außenwelt?
Und doch wächst da etwas Neues, Starkes in uns, das uns nicht umkommen lässt. Vielleicht ist es sogar etwas viel Stärkeres als zuvor.
Der Spross meiner Weißkohlhälfte bekam gelbe Blüten an seinem langen Stiel. Da er langsam von unten zu verwesen begann, stellte ich ihn in den Garten und bewunderte ihn weiter. Er blühte wunderschön.
Zwei Dinge hat mir dieses Weißkohlwunder gezeigt:
„Bei Gott ist kein Ding unmöglich“ (Lukas 1,37).
Und er hat mir gezeigt, wie gnädig Gott mit uns Menschen umgeht. Wir können uns den Kopf einrennen, uns wundreiben, weil wir unseren Willen durchsetzen wollen oder meinen, unseren trügerischen Gefühlen nachgeben zu müssen. Wir verbiegen uns, um anderen zu gefallen, oder „brechen uns das Genick“.
Doch Gott lässt uns nicht umkommen. Denn „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen" (Jesaja 42,3).
7 Antworten
Wunderbar anschaulich dieses Beispiel! Toll geschrieben! Auch die Aussage, dass etwas in uns wächst, das uns nicht umkommen lässt und dass Gott uns nicht umkommen lässt spricht mich sehr an...
Liebe Grüße!
Sehr schöner Vergleich und auch noch so ungewöhnlich, wie das Leben immer weiter ans Licht kämpft.
Vielen Dank für diese Geschichte!
Dorothea Trautvetter
Dort wo da scheint keine Hoffnung mehr zu sein, geschieht das Wunder.
Wie passen diese Worte wieder einmal so wunderbar in meine jetzige Situation. Ich war ca. 3 Wochen bedingt durch eine Lungenentzündung isoliert von meiner Familie allein, eine schwere Zeit. Und auch jetzt habe ich noch unter dieser Isolation zu leiden. Und doch geschieht jeden Tag ein kleines Wunder, das mir zeigt wie gnädig unser Vater im Himmel mit uns ist. Er lässt uns nicht im Stich, auch in dunkler Nacht. Danke für die Geschichte, sie gibt mir wieder Mut mein oftes Alleinsein besser zu ertragen, denn ich bin nicht allein...
Was für ein eindrückliches Bild! Danke fürs Aufschreiben. ♥️
„Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Lukas1,37
Amen und Amen!!!
Vielen herzlichen Dank für die wunderbaren Beiträge, die ich immer wieder gerne lese...
Liebe Grüße aus Armenien und Gottes Segen!
Nelly
Liebe Anne-Maria Kreye,
danke für deine Zeilen über deine sporatischen, intensiven Beobachtungen. Da kann man nur staunen über Gott...dieses Lied liebe ich.
Im Herrn verbunden
herzliche Grüße
Erika