Ich betreute eine alte Dame, die an Demenz erkrankt war und in einem Pflegeheim lebte. Da es wichtig war, ihren Kreislauf in Schwung zu bringen, ermutigte ich sie regelmäßig, mit ihrem Rollator eine kleine Strecke auf dem Gang zu gehen. Ein Spaziergang, der Erinnerungen weckte. Bruchstückhaft kamen Worte aus ihrem Mund, in denen die Dame mir erklärte, wen wir gerade vom Zug abholen mussten. Und so holten wir diese Personen mitten im Pflegeheim in unserer Vorstellungkraft vom Zug ab. Manchmal wurde sie traurig, denn anscheinend hatten wir manchen vergessen, vom Zug abzuholen. Ihr fehlte nun ein wertvoller Mensch, ein „Bruchstück“ ihres Lebens, und sie trauerte darüber. Dann und wann äußerte sie auch die Hoffnung, dass jene Person vielleicht noch käme …
Zurück in ihrem Zimmer sah ich auf dem Nachttisch einen Zettel. Darauf stand folgender Bibelvers, den ich ihr laut vorlas: „Weißt du es nicht, hörst du es nicht? Der Herr ist ein ewiger Gott, der die weite Erde erschuf. Er wird nicht müde und matt, unergründlich ist seine Einsicht. Er gibt dem Müden Kraft, dem Kraftlosen verleiht er große Stärke. Die Jungen werden müde und matt, junge Männer stolpern und stürzen. Die aber, die dem Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt“ (Jesaja 40,28–31).
„Weißt du es nicht?“ „Hast du das vergessen?“ Eine häufige Frage für demente Menschen, innerlich oder von außen an sie herangetragen. Und nicht nur für jene – auch ich kenne diese Frage aus meinem Alltag. Eine Frage, die Erschrecken auslöst, wenn man es nicht mehr weiß. Ich erlebte, dass meine Dame das Wichtigste dennoch wusste, denn nachdem ich ihr die Bibelverse vorgelesen hatte, sagte sie zu mir: „Ich wünschte, Gott würde hereinkommen!“
Mein Interesse war geweckt, was sie mit dieser Sehnsucht und dem himmlischen Besuchswunsch an Gefühlen verband. Ich fragte: „Und dann?“ Sie erwiderte sofort: „Das wäre schön! Wir wissen schon, was dann wäre.“ Hatte ich nicht gedacht, dass bei ihr nicht mehr so viel klar war? Was die Ewigkeit mit Gott betraf, war bei ihr keine bruchstückhafte, „milchig gewordene Glasscheibe“ vorhanden, sondern absolute Klarheit. Ihre Aussage war voller Zuversicht und auch für mich eine wertvolle Erinnerung daran: „Wir wissen schon, was dann wäre. Und es wäre schön!“
Glasklar! Wie ein Blick durch eine geputzte Fensterscheibe. Das Warten auf einen schönen Besuch, der nicht mehr endet. Ein vorfreudiges Erwarten desjenigen, der sie „abholen wird vom Zug“. Nicht nur das Ende einer Reise, sondern zugleich der Beginn einer neuen Reise. Und wie gut, wenn man weiß: „Das wäre schön!“
So gehe auch ich mit ihm, warte mit ihm und fahre mit ihm in den Zügen meines Lebens. Er ist der beste, wertvollste, schönste Lebensreisebegleiter. Schon jetzt!
Antje Schering
7 Antworten
Sehr schön ,diese Erwartungshaltung sollten wir nicht aus den Gedanken lassen.
Wirklich ermutigend! Und ich darf bestätigen, dass ich ähnliches schon miterleben durfte. Eine Person mit demenzieller Erkrankung war oft traurig in ihrer Situation. Das Gespräch über Glauben und die Hoffnung in Jesus und das gemeinsame Gebet brachten jeweils Trost, Freude und waren "Glasklar". Also keine wolkige Scheibe. Dies war mir dort schon ein eindrückliches Erlebnis .
Ja, das Schönste kommt erst noch!
Eine sehr ermutigende Geschichte, danke für's Teilen! Ich habe auch einmal mit Menschen die an Demenz erkrankt waren gearbeitet und war freudig erstaunt, wie viel sie geistliches Gut in sich hatten. Egal ob Lieder, Psalmen oder Gebete, sie waren immer parat und wurden mit Freude und einer Festigkeit gesprochen oder gesungen. Sehr beeindruckend!
Vielen Dank für all die Erfahrungsberichte! Sehr gut und auch tröstlich, zu wissen, dass, wenn auch alles andere vergeht, dieser Schatz ewig bleibt! Für mich ein glasklarer Beweis, dass dieser Schatz Ewigkeitswert hat und wir uns umso emsiger darum kümmern sollten, ihn zu pflegen und anderen weiterzugeben!
Ich machte schon laenger Zeit Kinderstunde in unserer Gemeinde und kannte alle Kinder die regelmaesig kamen. Einmal betrat ich die Klasse, wie immer, da seh ich ein Kind am Fenster stehen, das ich nicht kannte.Ich wollte, das es sich umdrehte um mit uns allen zu sein. In dem Moment, als ich das Kind am Arm beruehrte, merkte ich an seiner Reaktion, das es ein besonderes Kind war, das nicht mit den anderen sein wollte.Daraufhin bat die Mutter des Kindes, ob er denn waehrend der Stunde malen durfte.
So sass das Kind an der Seite und malte, waehrend die anderen Kinder der Geschichte lauschten und einen Bibelvers lernten. Jetzt war das Malen fuer alle Kinder dran, um das Gelernte zu vertiefen.
In der Klasse hing eine Tafel, an die manchmal auch die Kinder malten. Da fragt mich die Mutter, ob ihr Kind, das an der Seite gesessen hatte, an der Tafel malen durfte. Da alle am Malen waren, stand dem nichts im Wege. So malte das besondere Kind an die Tafel. Als ich dann mal schaute, was da an der Tafel geschieht,staunte ich nicht schlecht. Das besondere Kind hatte an die Tafel geschrieben. Aber von hinten nach vorne. Als ich das Geschriebene in Gedanken umdrehte, las ich den Vers, den ich soeben die Kinder gelehrt hatte.
Fuer mich war das eine Lehre, das das Geistige eine ganz andere hoehenlage ist, die unser Verstand nicht erreicht. D. H. Gott kann mit seinen Wort alle und Jeden erreichen, der es hoert.
Ja,das kann man immer wieder bei Demenzkranken erleben das sie in geistigen Dingen klar sind und dieses ein wichtiger Bestand im Alter ist wenn nichts mehr bleibt! Bin so froh das diese lebendige Hoffnung bei meiner Mutter fest verankert ist und sie sich freut auf die Ewigkeit das sie bei ihrem Herrn sein darf!Für mich als Tochter immer wieder ein Anlass darüber nach zu denken das ich mich auch so freue auf meinen Herrn wenn er uns holt oder ich am Ende meiner Reise hier auf der Erde zu ihm gehe!