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Wenn die Lebensfreude verloren gegangen ist

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In Deutschland leiden 4,1 Millionen Menschen an einer Depression. Zum Vergleich: Berlin hat etwa 3,6 Millionen Einwohner. Wer sie sind? Mütter, Väter, Omas und Opas. Freunde und Nachbarn, Bekannte und Arbeitskollegen. Eltern und Kinder. Depression kann jeden treffen und manchmal trifft sie uns. Wie würden wir wollen, dass andere mit uns umgehen, wenn wir einer von ihnen wären?

Als ich Anfang zwanzig war, verursachte ein Arzneimittel bei mir eine Depression. Das Medikament sollte eigentlich die Hautkrankheit heilen, unter der ich litt. Ich sehnte mich danach, gesunde Haut zu haben, ohne Entzündungen, ohne ständig wechselnde Antibiotika. So nahm ich das Medikament, überflog die Nebenwirkungen und nickte lächelnd, als der Hautarzt mir sagte, dass Depression eine häufige Nebenwirkung sei. Schließlich war ich für meine Lebensfreude bekannt und was für eine Wirkung sollte so eine kleine Tablette schon haben? Anfangs merkte ich nichts, denn die paar schlechten Gedanken konnte ich leicht wegstecken. „Hat nicht jeder mal schlechte Tage?“, fragte ich mich. „Ach, der Monat war halt nicht so toll, aber solche Zeiten gibt es immer“, sagte ich mir. Und aus „Sollte ich mich nicht eigentlich über mein Leben freuen?“ wurde „Was will ich eigentlich hier?“. Das Leben zog an mir vorbei. Alle konnten es sehen, nur ich nicht. Denn die Nebelschwaden meines Denkens und Fühlens lullten mich ein.

Ich war gefangen in einem Gefängnis, erkrankt, ohne es direkt zu merken. Und von Lebensfreude war bald keine Spur mehr. Eine Depression wählt man nicht freiwillig. Man denkt sich nicht: Keine Lebensfreude mehr zu haben, wäre heute mal fein! Depression ist wie Moor, in das du einsinkst, und plötzlich steckst du drin, regungslos gefangen, jeder Versuch zu entkommen engt dich noch mehr ein. Und du fragst dich: Ist der einzige Weg, hier herauszukommen, der Tod?

„Entscheide dich doch einfach, glücklich zu sein!“ Wie oft habe ich diesen Satz gehört, und je näher einem die Person steht, desto mehr tut er weh. Glücklich sein, das kann jemand, der unter Depressionen leidet, nicht einfach. Nicht weil man nicht will oder sich nicht genug anstrengt, sondern weil Depression eine Krankheit ist. So wie manche eine Brille brauchen. Sicher, man hat einen gewissen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit. Aber niemand sieht besser, wenn ich ihm sage: „Entscheide dich doch einfach, scharf zu sehen!“ Am besten noch mit einem „So schwer kann das doch nicht sein“ hinterher.

Nein, Depression ist eine unter Umständen lebensbedrohliche Krankheit, die jedoch mit fachkundiger Behandlung heilbar ist. Depression ist nicht das Gleiche wie Trauer oder tiefe Traurigkeit, sondern vielmehr ein Fehlen jeglicher Lebensfreude. Medizinisch einzuordnen unter „Stoffwechselstörung im Gehirn“. Die Konzentration der Botenstoffe im Hirn, insbesondere von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin, ist dabei aus dem Gleichgewicht geraten. Ursache hierfür ist oft eine dauerhafte Überaktivierung des Stresshormonsystems. Diese Überaktivität kann unbehandelt auch zu körperlichen Folgeerscheinungen wie Bluthochdruck oder Herzinfarkt führen.

Wissen hilft allen Betroffenen

Aber wenn mehr oder weniger gutgemeinte Ratschläge bei Menschen, die erkrankt sind, nicht hilfreich sind, was kann ich überhaupt tun, um zu helfen? Das Wissen über eine Depression und ihre Auswirkungen hilft dem Betroffenen, aber auch jedem, der in Beziehung zu ihm steht. Denn durch das Wissen über Depression kann man die Krankheit und somit das Verhalten des Erkrankten besser einordnen. Auch schenkt es Hoffnung zu wissen, dass Depression heilbar ist und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt. Denn es zeigt: Das Leben ist noch nicht vorbei!

Angehörige und Freunde sollten nicht anzweifeln, ob die negativen Sichtweisen und Gefühle des Erkrankten gerechtfertigt sind oder nicht. Depressiv erkrankte Menschen dramatisieren ihr Erleben normalerweise nicht. Es ist die Depression, die das Missempfinden ins kaum Erträgliche steigert. Es ist sehr wichtig, sich nicht von der erkrankten Person abzuwenden, auch wenn er oder sie noch so abweisend erscheint, denn gerade jetzt wird ein Fels in der Brandung benötigt.

Doch anstatt nur aufzuzeigen, was man nicht sagen und nicht tun sollte, ist es mir ein Anliegen, die richtigen Worte zu finden. Dafür habe ich zusammen mit depressiv erkrankten Freunden und Bekannten eine Liste von Sätzen erstellt, die uns geholfen haben, sie zu hören:

„Du bist nicht allein.“
„Ich bin für dich da.“
„Du bist mir/uns wichtig.“
„Gib mir mal deine Hand, dann bete ich für dich.“
„Es ist nicht deine Schuld.“
„Ich nehme deine Erkrankung ernst.“
„Wir schaffen das zusammen.“
„Du bist stark.“
„Depression kann geheilt werden.“
„Wir lieben dich, auch an deinen schlechtesten Tagen.“
„Du verschreckst mich nicht mit deinem Denken und Fühlen.“
„Kann ich dich unterstützen? Dich vielleicht zum Arzt begleiten?“

Experten mit ins Boot holen

Wenn jemand schlecht sieht, bringen wir den Betroffenen zum Optiker. Leidet jemand unter Depressionen, sollte er zu einem Arzt gehen, der sich damit auskennt. Leider denken viele depressiv erkrankte Menschen, dass sie schuld an ihrem Befinden seien, und wissen oft selbst nicht, dass sie tatsächlich erkrankt sind. Die Konzentration der Botenstoffe im Hirn verhindert es möglicherweise auch, Hoffnung zu haben, dass einem geholfen werden kann. Deshalb sollte man bei nahestehenden Menschen durchaus die Initiative ergreifen und einen Arzttermin vereinbaren und den betroffenen Menschen dorthin begleiten. Die Begleitung ist wichtig, da vielen Erkrankten die Kraft fehlt, den Termin auch wirklich wahrzunehmen.

Gebet kann Depressionen heilen, muss es aber nicht. Ich habe schon öfter für Menschen gebetet, die depressiv erkrankt waren – eine Spontanheilung von einer starken, langjährigen Depression mit Suizidgedanken habe ich erst ein einziges Mal erlebt. Abhalten vom Beten sollte es uns trotzdem nicht, denn Gott tut Wunder – auch heute noch! Zu wissen, dass jemand für einen betet, ist tröstlich. Auch mit dem Betroffenen zusammen zu beten, kann heilsam sein. Mir ging es oft so, dass ich keine Worte finden konnte und einen Groll gegen Gott hegte, in dem ich gefangen war. Mir fehlte auch die Kraft zum Beten. Wie wohltuend war es da, wenn meine Mutter mir liebevoll ihre Hand auf die Stirn legte, sie mit einem Finger streichelte oder mich einfach in den Arm nahm und sagte: „Ich bete jetzt noch für dich!“ Und dann betete sie laut und sprach Worte aus, für die ich in diesem Moment keine Kraft hatte, die mir aber Kraft gaben.

Wenn Sie selbst unter einer Depression leiden, möchte ich Ihnen zusprechen, dass Sie sich nicht schämen müssen. Sie sind nicht allein auf der Welt und nicht allein mit der Depression. Ihr Leben ist noch nicht vorbei, Ihre Geschichte geht weiter. Es gibt Hoffnung und es gibt Hilfe. Sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt oder einem Therapeuten. Suchen Sie Hilfe bei einem Pastor und vertrauen Sie sich Freunden oder Familienmitgliedern an. Gott ist da, auch in tiefer Not.

 Dieser Artikel erschien in LYDIA 4/2020.

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3 Antworten

  1. Wenn jemand von euch schwach oder krank ist, soll er die Ältesten der Gemeinde zu sich rufen, damit sie ihn im Namen des Herrn mit Öl einreiben und über ihm beten. Jakobus 5,14

    Wenn Ihr niemanden habt lest die Worte von Jesus und bittet um Heilung.

  2. Der Artikel von Hanna Hoy über Depressionen ist der beste Artikel, den ich je über dieses Thema gelesen habe.....und ich habe schon sehr sehr viele darüber gelesen, da ich vor Jahren meine Schwiegermutter mit dieser grausamen Erkrankung begleitet habe und nun auch meine Schwiegertochter damit zu kämpfen hat. Aufs neue hat mir dieser Artikel geholfen mit Gottvertrauen und Gebet meine depressiven Mitmenschen zu begleiten, für sie da zu sein und den Weg zur professionellen Unterstützung zu ebnen. Mit einem riesengroßen Dank und vergelts Gott!

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